Erinnerung

– Beliebiges Grußwort in Gedanken einsetzen – 

Ich habe hier in letzter Zeit eher wenig zu melden gehabt. Daran hat sich im Grunde auch nicht viel verändert. Naja, vielleicht doch ein wenig: Ab Oktober werde ich mal wieder längere Zeit auf Reisen sein, und für alle die es interessiert, gibt es hier bald eine neue Blogadresse. Ich habe vor kurzem eine sehr interessante Bekanntschaft gemacht, die mich auf die Idee gebracht hat, mich zu erinnern – auch wenn sie selber gar nichts davon weiß. Mich zu erinnern an das letzte Mal, als ich auszog, die Welt zu erkunden. Dabei ist mir diese Momentaufnahme in die Hände gefallen. Eigentlich fasst sie meinen Blick auf meine Zeit in Togo ganz gut zusammen:

Ich sitze hier und bin mir nicht sicher.

Ich sitze hier in Afrika vor meinem kleinen Netbook und lese teils angestrengt, teils interessiert Informationen über Studiengänge. Wichtiges für mich, für meine Zukunft unumgängliches.

Dann sehe ich nach draußen, durch die links von mir offenstehende Holztür hindurch auf den Vorhof roter Erde, den Hof vor unserem Wohnhaus hier im Dorf. Dort sehe ich keine dreißig Meter entfernt ein kleines Mädchen, das sich wäscht. Es schöpft mit einer kleinen Plasteschale Wasser aus einem Eimer und gießt es, auf einem Betonabsatz stehend, über ihren Körper, der von jenen im Wasser spielenden Farben glänzt, die von der Sonne ausgesandt werden.

Ich sitze also hier und bin mir nicht sicher, bin gänzlich unsicher. Was wollen wir im Leben wirklich? Das, was alle sagen, das, was uns glücklich macht, die Liebe? Oder wollen wir Erkenntnis, um zu sehen, was wir wollen? Oder wollen wir vielleicht Erfolg, der uns über andere stellt, ein Streben nach hierarchischer Macht und nach Materie? Oder hängt dies alles unweigerlich zusammen?

Ich sitze hier und frage mich, wozu bestimmte Dinge in der Welt noch gut sind, wozu bestimmte Dinge hergestellt werden, wenn ich jetzt das Mädchen, es ist vielleicht sechs Jahre alt, sehe, wie es den Wassereimer in die Lehmhütte ihrer Eltern trägt, direkt vor mir. So rein, so natürlich. Vollkommen unbeschwert, sorgenlos und unschuldig.

Ein Europäer kann in seiner rechten Hand zerquetschen, was ein einfacher Afrikaner zum Leben braucht. Und wisst ihr, warum? Weil er ihm so wenig Bedeutung beimisst, dass es ein paar vertrockneten Blättern gleichkommt, die nur leise seufzen, als er sie zerdrückt. Seufzen über die Einfachheit ihrer Beschaffenheit und deren Zerbrechlichkeit. Aber auch ein erleichtertes Seufzen über die Einfachheit ihrer Beschaffenheit, da sie nicht kaputtgegangen sind, als der Europäer sie zerbröselt auf den Boden wirft. Sie haben nichts verloren, was sie am Leben hält.

Ich sitze hier und bin mir nicht sicher. Meine Rückkehr ist nicht abzuändern, selbst mein Wille will das nicht. Doch sie macht mich zu jenem Europäer, der fragile Blätter zerdrückt, sie zerreibt, mit seinen schwielenlosen Fingern. Doch verpassen wir nicht viel, wenn wir’s so einfach nehmen?

Ich sage ja. Denn ich habe es gesehen, geschmeckt, gefühlt und auch gehört. Und ich sauge es noch immer ein: Kehre zurück zur Einfachheit des Lebens, wenn auch nur für kurz, und mach dir deutlich, dass sie der Ursprung ist. Auch der deine. Das wird dir manches Bild durch Erhabenheit, und manches durch Amüsement versüßen.

Und noch etwas hab ich gefunden, nicht minder treffend:

Ich sehe mich auf einer Straße gehen, in Staub gehüllt

Nur schwach kann ich oben die Sonne sehen, ihre Hitze brüllt.

Um mich herum ist Lärm und ist Schmutz, ein heillos Durcheinander

Inmitten von Leuten treibe ich vom einen zum andern Mäander.

 

Doch dann stürzt nieder die tropische Flut

Und löst Schleier und Wolken und Dreck,

Die Grünheit zeigt sich in wallender Wut,

Und Bäche tragen mich weg.

 

Dann sitz ich im Dorf auf hölzernem Stuhl

Und schaue bewundernd um mich

In Afrika, ja da bist du,

sind Wunder möglich.

Salut les gars.

Ein Blatt das im Wind weht

Ich bin ein Blatt das im Wind weht.

Wenn dir eine Zeile durch den Kopf geht, und du sie schön findest, schreibst du sie auf. Ich habe diese Zeile nicht bedacht. Nicht über sie nachgedacht. Was sagt so eine Zeile über uns aus?

Im Grunde halte ich mich für jemanden der das Blatt über die Straße pustet. In der Regel jemanden, der dem Blatt eine Richtung gibt, es vielleicht sanft niedergleiten oder wild tanzen lässt. Doch wie ist es, wenn eines Tages ein Blatt dazu kommt, dass du nicht steuern kannst. Das mal auf dich zuströmt, mal von dir weg hüpft. Und es ist nicht irgendein Blatt. Es ist ein großes, schönes Blatt, das dich mitreißt. Vielleicht möchtest du eigentlich Distanz halten, denn noch hast du die Besonderheit des Blatts nicht ganz verstanden. Manchmal bewegt es sich so, wie sich für dich und deine Augen noch nie ein Blatt bewegt hat. Und manchmal ist es dir suspekt. Doch eigentlich hat es dich in seinen Bann gezogen, meistens.

Und auf einmal…bist du ein Blatt das im Wind weht.

Togos Nachwehen – vom 17.November 2011

 

Die Sonne morgens zu spät. Die Nacht abends zu früh.

Ein rauer Wind und kalter Regen.

Herbst. Deutsche Realität.

Es kommt mir oft so weit weg vor, dieses Land, in dem ich ein Neunzehntel meines bisherigen Lebens verbracht habe. Aber niemals ist es mir so fern, wie in diesen Tagen, wenn ich aus dem Fenster blicke und stürmische Böen kalten Windes über die von bunten Blättern übersäte Straße fegen sehe und die Kälte förmlich an mir spüre, obwohl wir angenehme Temperaturen haben, hier in der Wohnung.

Als ich zurückkam, erlebte ich einen erstaunlichen Moment der Klarheit, im selben Zuge mit einem Moment der Verwirrung. Du siehst sehr deutlich all diese Unterschiede, die es zwischen diesen zwei Welten gibt, und die Frage nach dem Warum fühlt sich auch irgendwie beantwortet an. Aber die Tatsache, dass du auf einmal wieder hier bist, zwischen all den schnelllaufenden, plastisch-schillernden Menschen, den grellen, schreienden Läden und den sauberen Fußwegen, kannst du zunächst nicht begreifen.

Dann kommt die Phase des kompletten Wohlfühlens. Etwa ab dem Moment, ab dem du akzeptiert hast, wo du nun wieder bist und dabei bist, dich daran zu gewöhnen. Denn in diesem Zeitraum lernst du es intensiver denn je kennen, Dinge zu schätzen, die du vor dem Jahr im Ausland nicht einmal wahrgenommen hast, deren Existenz für dich selbstverständlich war. Das ist der aus meiner Sicht positivste Effekt eines solchen Freiwilligendienstes im Unentwickelten Ausland für einen selbst – man erlebt einen nie dagewesenen Genuss des Lebens.

Daran kann man sich erfreuen, solange man es schafft, diese Einstellung, diesen Blick aufrecht zu erhalten. Erst gestern saß ich mit einer Freundin in ihrer Wohnung und wir unterhielten uns, genau über dieses Thema. Sie lehnte mit dem Rücken an der warmen Heizung, ich saß mit Tee und in einer Decke auf dem Sofa. Und wir redeten, stundenlang. Dann saßen wir nebeneinander und lasen einfach nur. Die Gedanken beim Hier und Jetzt, und in der Vergangenheit. Wann macht man so etwas schon.

Ich finde man sollte es viel öfter tun. Sich dem reißenden Strom unseres Lebens für ein paar Augenblicke unseres Lebens entziehen.

Ich muss oft dabei unwillkürlich lächeln, wenn ich davon erzähle, wie ich die Welt nun wahrnehme, denn es fühlt sich einfach gut an, sich vor Augen zu führen, dass man das Leben nun mehr genießen kann.

Aber dann wieder der Blick durch das unbarmherzig transparente Doppelglasfenster. Da gibt es nichts, das die Wahrheit dahinter verschönern kann. Die Regentropfen klatschen gegen das Glas, von der Sonne ist nichts zu sehen und dann der Gedanke daran, dass man da gleich wieder raus muss. Das Gefühl ist komisch, irgendwie surreal, so grau und kalt wie es da draußen ist. Wenn man das zwei Jahre lang nicht erlebt hat, kommt es einem vor wie in einem hässlichen Traum. Oder wie ein schlechter Scherz. Da muss ich schmunzeln. Ein Scherz. Irgendwie ist es gar kein Scherz, denn wenn ich das Fenster nun öffnen und meine Hand heraus halten würde, würde ich Kälte und Regen spüren. Dann wüsste ich, dass sie echt sind. Lieber nicht.

An dieser Stelle muss ich an meinen Vater denken. Ein unverbesserlicher Sonnenanbeter, der Besuch in Afrika schien ihm für mehrere Wochen Gesundheit, Kraft und Lebensfreude geschenkt zu haben, wie ich von meiner Familie erfahren habe. Dabei muss gerade ich nach diesem Jahr in der Sonne zugeben, froh darüber zu sein, dass es Jahreszeiten gibt. Und alle, die glauben, vom Gegenteil überzeugt zu sein, kann ich nur versuchen, zu bekehren: Irgendwann habt ihr es satt, dass es immer heiß ist, immer hell und Wasser nie fest. Gerade dieses Abwechseln von Winter, Sommer und dem dazwischen bringt uns doch die Freude über den Sommer. In Togo hätte ich mir manchmal Winter gewünscht.

Und dann ist da ja auch noch dieses unglaublich schöne Gefühl, das man hat, wenn man im Winter bei warmem Licht und einem Glas dampfendem Punsch auf dem Sofa sitzt, während draußen minus zehn Grad sind und vor Dunkelheit und Schneewehen nichts mehr zu sehen ist.

Tja, aber im Grunde sitze ich ja hier und bin ich missmutig eingestellt gegenüber dem Wetter da draußen. Vor einer Woche hatten wir noch strahlenden Sonnenschein und fünfundzwanzig Grad, jetzt haben wir strahlende acht Grad und der Himmel ergießt sich mit einer beeindruckenden Konstanz. Das ist der eigentliche Grund, warum mein Übergang von Togo nach Deutschland einigermaßen reibungslos geklappt hat, vermuten einige, und ich muss sagen, da ist was dran. Wenn du aus dem afrikanischen in den deutschen Sommer kommst, ist dir zwar erst mal kalt. Aber dennoch, es scheint hin und wieder die Sonne, es ist einigermaßen warm, auch wenn du das erst nach einer Woche begreifst. Dann findest du es richtig gut und der Sommer erbarmt sich noch einmal zu ein paar Freilufttagen. Und dann passiert das, was alles durcheinander bringt – es wird grau, kalt und nass. Nass kennt man ja als Afrikaner schon. Aber kalt? Das gibt’s so gut wie gar nicht. Und grau nur vorübergehend.

Aber genau das führt ja dazu, dass es einem eines Tages zum Hals raushängt. So wie fast alles, was man immer hat und was sich nie wirklich ändert. Und ich realisiere vielleicht erst jetzt vollständig, dass ich wieder zu Hause bin.

Protest gegen die Trübe

Wie eigenartig ist es doch,

Dieses Gefühl zu haben;

Vor ein paar laus’gen Wochen noch

Sah ich man mich in Togo traben.

Ein Lauf am Morgen, Sonne hoch

Befreit die Sinne, macht mich leben,

Es war so einfach, damals noch,

sich in die warme Sonn‘ zu legen.

Jetzt sitz ich hier und lerne brav,

und an die Scheibe klatscht es nass –

dass ich jetzt nicht in die Sonne darf

macht meine Stimmung blass.

Ich will wieder schwitzen, dreckig sein,

Und sei’s nur für einen Tag –

Mit den Kindern tanzen, froh und rein,

Dass mich keine einz’ge Sorge plagt.

So unterschiedlich sind die Welten,

Allein schon vom Gefühl.

Wenn sich die Massen hier erkälten

Wird’s in Togo nicht mal schwül.

Unsre Sehnsucht gilt der Ferne,

dem heilgen armen Land

das reich ist an des Lebens Sternen

und an feur’gem Palmenbrand.

Dem Ort den wir so gut gekannt,

und der uns Freiheit schenkte,

den Menschen und dem Togostrand

dem afrikanischen Esprit, der uns dort lenkte.

Abschlussbericht – echt jetzt, Schluss, aus, Ende! Aber nicht für immer…

Hannover, 04. September 2011

 

Abschlussbericht

 

Ein ganzes Jahr waren meine Mitstreiterin Merle und ich nun in Togo. Und es kommt mir nicht einmal wie die Hälfte dessen vor, wenn ich an meinen vorläufig letzten Tag in Deutschland und meinen ersten Tag im damals noch fremden Land denke.

Ich verließ an diesem Tag meine Freundin und meine Familie, meine Bekannten und Freunde, meine Heimat. Ich saß an diesem Tag weinenden und lachenden Auges in zwei verschiedenen Flugzeugen und wusste nicht so recht, was empfinden. Ich traf jene junge Frau aus Lüneburg, mit der ich nun jeden einzelnen Tag dieses Jahres verbringen sollte. Ich landete vollkommen problemlos auf dem schwarzen Kontinent und war zunächst von Luft, und wenig später der Kultur und den Menschen, den Bauten und dem gesamten ersten Eindruck ergriffen.

Ich erinnere mich noch sehr genau an diesen, sowie an alle wichtigen Tage und Momente dieses Jahres. Und es ist mein unumstößliches Ziel, diese Erinnerung mein gesamtes Leben lang zu behalten. Teilen möchte ich sie aber dennoch mit euch.

Wie es los ging und wie ich erste Hürden meisterte, wie es weiterging und weitere Treppen hinzukamen, die es zu steigen gilt, und wie ich all das empfand, genoss und erlebte steht in den sechs Berichten, die auf dieser Seite bereits gezeigt sind. Wenn jemand allerdings nur einen Bericht lesen möchte, dann empfehle ich diesen hier. Denn er schließt nicht nur ein Kapitel ab und öffnet ein neues, sondern er resümiert auch.

Meinen Freiwilligendienst leistete ich in einer ONG/NGO, einer nicht-staatlichen Organisation ab, die nicht die größte, sicherlich aber auch nicht die kleinste war, die es in Togo gibt: JSA – Jeunesse, Sensiblisation, Action – Togo.

Über das gesamte Freiwilligenjahr hinweg waren wir im Süden des Landes hauptsächlich  an zwei verschiedenen Orten tätig: das Dorf Anoum bis Dezember 2010 (kein Strom, kein fließendes Wasser, etwa 100 Einwohner) sowie das Dorf Djékotoé (kein Strom, kein fließendes Wasser, um die 700 Einwohner) von Januar bis Ende Juli 2011.

Hier bestand unsere Aufgabe mit Hauptaugenmerk in der Betreuung und dem Unterricht von Kindern zwischen drei und sieben Lebensjahren, denen wir eine Art Vorschulprogramm anboten. Hier brachten wir den Kindern im Großen und Ganzen spielerisch erste Französischkenntnisse näher, indem wir mit ihnen sangen, zählten, schrieben, malten, spielten, tanzten und Farben lernten. Dieser Arbeit gingen wir an allen Arbeitstagen der Woche (auch in Afrika Mo bis Fr) von 8 bis circa 11 Uhr nach, länger konnte man die Ausdauer der Kinder und die unserer Nerven nicht strapazieren.

Nachmittags standen unterschiedliche Tätigkeiten an, was auch von Dorf zu Dorf variierte: während wir in Anoum zweimal in der Woche in ein etwa 3 km entferntes Nachbardorf liefen und dort Deutsch(-nachhilfe-)Unterricht für alle Interessenten in der Umgebung gaben sowie einmal in der Woche mit den Kindern etwas spielten oder mit ihnen Musik machten (Trommeln), hatten wir in Djékotoé einmal Mittwochs und einmal am Wochenende, samstags Deutschunterricht mit den Lycéens (Gymnasiasten), die Deutsch gewählt hatten, und darüber hinaus ein Bauprojekt, mitgefördert von zwei französischen Freiwilligen, die vorübergehend Zeit mit uns verbrachten.

Einmal in der Woche trainierte ich in Djékotoé die Kinder/Jugendlichen bis 15 Jahre in Fußball. Eine große Hilfe hierbei waren die Spenden meiner Großeltern (wir konnten 11 gute Bälle für das Dorf kaufen – allerdings nicht nur hier wurde gespendet, auch für Arbeitsmaterialien wie zum Beispiel Tische und Stühle für die Schule in Djékotoé kamen Gelder aus meiner Familie zusammen) und meines ehemaligen Trainers meines Dresdner Fußballvereins, Thomas Baron, durch dessen Großzügigkeit wir sowohl Anoum als auch Djékotoé einen Trikotsatz zukommen lassen konnten.

Außerdem stand natürlich täglich die Arbeit des Haushalts an. Hier handelte es sich besonders um die folgenden Dinge: Feuer machen, Essen zubereiten und kochen, Wäsche waschen, Sauberhalten der Hütte und natürlich Wasser holen.

Zwischen Arbeit und Freizeit bewegte sich das ein- bis zweifach wöchentliche Besuchen eines weiter entfernt liegenden Nachbardorfs (Anoum: 9 km bis nach Adeta; Djékotoé: ca. 12 km bis nach Vogan).

Unsere Erwartungen an das Jahr und das Land, in dem wir es verbrachten, waren groß. Das trifft sicherlich weniger auf die dortigen materiellen Verhältnisse, als auf unsere Tätigkeit zu; Es ist ja meistens so, dass Erwartungen sich nicht vollkommen bestätigen. So auch hier. Ich hatte mit einer größeren Vielfalt an Aufgaben, vor allem auch mit Anti-Aids-Kampagnen und mehr Bauprojekten gerechnet. Nachdem ich meine anfänglichen Unsicherheiten, ob ich wirklich ein ganzes Jahr an diesem Ort und in dieser Kultur verbringen möchte, einigermaßen verarbeitet hatte, begann mich die Monotonie in unserer Arbeit und unserem wochenablauf zu stören. Allerdings war dies, wie ich bald erkannte, ein oberflächliches Problem, denn ich nahm wahr was es noch alles zu entdecken und zu sehen gab in diesem in vieler Hinsicht fremden Ort, das jeder Tag seine eigene Überraschung und seinen eigenen Zauber barg. Vor allem die Freundlichkeit und Offenheit, der Frohsinn der Kinder ließen mich vergessen, was mich einige Wochen zuvor noch aufgekratzt hatte.

Bereits an dieser Stelle möchte es sagen: Es ist dieser Esprit, diese Lebenseinstellung, diese Leichtigkeit des Seins, die Afrika und seinen Menschen einen so besonderen Reiz geben. Das merkt man früh, auch wenn man es zu diesem Zeitpunkt noch nicht so einfach hinnehmen und mit leben kann. Doch wenn Wochen und Monate vergehen und man mehr und mehr Afrikaner wird, so entert man dieses Leben als einer von ihnen, und nicht als Fremdkörper, und das macht frei und gibt einem die Gelegenheit, ja, die Fähigkeit, etwas zu tun, das uns in Deutschland und dem Okzident so sehr abhanden gekommen ist: Einfach mal abschalten, sich treiben lassen, um sich schauen und sich vor Augen führen wo man ist, was man tut, wie die Leute sich um einen herum verhalten. Denken: Ich bin in Afrika! Das ist doch Wahnsinn. Und diesen Moment genießen. Denn die Zeit dafür hat man in Afrika.

Viele beschäftigt vor, aber vor allem nach dem Freiwilligendienst die Frage, ob man etwas erreicht hat, eine Spur hinterlassen hat, eine sinnvolle, bleibende Auswirkung auf den Ort, die Leute und deren Fähigkeiten hinterlassen hat. So auch mich:

Gerade hier in Togo lernten wir, dass das Sprichwort von der Homepage meiner Entsendeorganisation, dem Sozialen Friedensdienst Kassel, zutreffend ist:

„Einer allein kann die Welt nicht verändern. Doch wenn viele kleine Menschen an vielen Orten viele kleine Dinge tun, ist Veränderung möglich.“

Diese Expression war gleichzeitig auch mein Schlusswort an die Jungs von der JSA, kurz bevor wir ins Flugzeug stiegen.

Heute bin ich überzeugt, dass unsere Arbeit nicht nur sinnvoll war, sondern dass wir auch etwas erreicht, etwas bewirkt haben. Es gilt hier meiner Meinung nach klar zu unterscheiden zwischen dem Tropfen auf den heißen Stein – das waren wir nicht – und dem kleinen, nachhaltigen Effekt – das waren wir. Denn wo man mit Entwicklungshilfe beginnt, muss man nachhaltig denken und diese nahhaltigen Gedanken so in die Tat umsetzen, dass es sich nicht nur um Hilfe für den Moment, sondern um Hilfe zur Selbsthilfe handelt. Diese Maxime haben wir in Anoum wie ich finde gut umgesetzt, denn dort arbeitet seit unserem Weggang im Dezember 2010 eine junge Frau, die zur Arbeit mit Kindern ausgebildet worden ist, mit unseren Jungs und Mädels weiter, bezahlt und getragen von der JSA und ihren leider nicht sehr hohen Spendemitteln. Kein Ende dieser Arbeit geplant.

In Djékotoé werden die drei Freiwilligen Jana, Julika und Mona vom Sfd unsere Arbeit fortsetzen und wir hoffen, dass nach ihrem Abschied aus dem Dorf genügend Mittel da sind, um eine Fortsetzung dieses Projekts realisieren zu können.

Wir haben meines Erachtens nach bewirkt, jungen Menschen bessere Bildungsmöglichkeiten zu geben, indem wir sie

a)      in jungem Alter durch unser Vorschulprogramm gut auf die Anforderungen in der Grundschule vorbereiteten, die sie ab dem sechsten, siebten Lebensjahr besuchen werden, wodurch ihnen das Lernen dort leichter fallen wird und sie durch gute Leistungen eine höhere Motivation erzielen werden und vor Schlägen sicherer sind – was im gegenteiligen Fall schon mal zum Abbruch des Schulbesuchs führt.

b)      mit unseren muttersprachlichen Deutschkenntnissen im Fach Deutsch weitergebracht haben, was Ihnen bei der Realisierung des Abiturs helfen wird

c)      insgesamt dazu motiviert haben, sich für die Schule anzustrengen und immer auf gute Leistungen hinzuarbeiten, wenn sie in ihrem Leben einmal etwas anderes machen möchten, als Feldarbeit und Ziegen/Schafe hüten.

Wir haben etwas bewirkt, in dem wir unsere/die Spendengelder einer Organisation zukommen ließen, die damit vor unseren Augen nicht nur unsere Bedürfnisse, sondern auch Projekte und Projektweiterentwicklungen (Ausstattung unserer kleinen Schulen, Schulgebäudebau) sowie das Leben ihrer Familien (mit-)finanzieren konnten.

Wir haben einen gedanklichen und verbalen Austausch zwischen uns Europäern und den vielen Menschen in Togo und Ghana bewirkt, die wir getroffen haben und uns alle damit bereichert.

Wir haben bewirkt, dass einige Kinder und Jugendliche neue Kleidungsstücke bekamen. Wir bewirkten viel Freude bei der jungen Bevölkerung der Dörfer, speziell Djékotoé durch unsere Sport-, vor allem Fußballprojekte und die damit verbundenen Spenden.

All das bewirkten wir und darauf bin ich ehrlich stolz. Wenn ich mir heute ein Bild anschaue, auf dem die Dorfältesten Anoums mit meinen Trikots zu sehen sind, Schriftzug „SC Borea Dresden“ auf dem Rücken, bekomme ich eine Gänsehaut. Eines jedoch darf nicht vergessen werden: Wir leben in Deutschland im Überfluss und das ist unser großes Glück – für mich ist das unter anderem DIE Erkenntnis meines Freiwilligendienstes – und sind damit verpflichtet, anderen zu helfen, denen es nicht so gut geht – denn dafür können sie genauso wenig, wie wir für unseren angeborenen Reichtum. Daher haben wir vielleicht einiges bewirkt, doch es ist kein so großes Kunststück, da wir dafür auch die materiellen Voraussetzungen besitzen.

Unser Verhältnis innerhalb der Organisation und speziell mit Merle und Serge (Mitglied der JSA, begleitete uns das gesamte Jahr über) war meist gut, allerdings nicht immer einfach, aber sicherlich wurde es uns dadurch erleichtert, dass wir im ganzen Jahr in der Regel mit den gleichen  Personen zu tun hatten. Darüber hinaus hatte die JSA viele Mitglieder, die wir unterschiedlich oft sahen. Vor allem Edih und seine Familie waren wichtige Pfeiler in meinem Togo-Leben, denn in Lomé kam ich bei ihnen auf dem Hof unter und fühlte mich in der Regel sehr wohl. Edih hat gemeinsam mit Sam, den man am wenigsten sieht, der aber wohl die größte Verantwortung trägt, einige administrative Aufgaben zu erledigen und steht in der Hierarchie der JSA recht weit oben. Er war derjenige, der uns und später mich im Winter vom Flughafen abholte und eigentlich bei allen wichtigen Evaluationen der Organisation anwesend war. Wir waren oft zusammen weg und haben uns viel unterhalten.

Elias und Benoît möchte ich unbedingt noch nennen, zwei recht entspannte, große Zeitgenossen, die in der Organisation auch ein Wort mitzureden haben und generell einen sehr sympathischen Eindruck machen. Mit ihnen hatten wir nur zu größeren Anlässen auf dem Dorf und bei unseren zahlreichen Besuchen in Lomé zu tun, waren aber dennoch eng befreundet.

Nicht nur der Austausch mit Togolesen und generell Afrikanern war interessant und vorrangig vorhanden, wichtig und weiterbildend waren auch unsere häufigen Kontakte mit anderen Weißen. Freiwillige, die ich in meiner Zeit im Gastland kennen lernte, kamen meist aus Frankreich, hin und wieder aber auch aus Deutschland und den USA. Sie arbeiteten in Bauprojekten, Aufzucht und Schuleinrichtungen, von Vorschule habe ich nie, von Deutschunterricht selten etwas gehört. Generell richten sich diese Freiwilligenprojekte aber an ähnliche Zielgruppen und meist die Jugend, Ziel ist die Hilfe zur Selbsthilfe in einem bildungstechnisch, wirtschaftlich oder die Lebensumstände betreffenden/verbessernden Bereich.

Konnte Togo meine Heimat werden, ist es das geworden? Anfangs fragte ich mich, ob es nicht für mein weiteres Leben (Blick aufs Studium und die Bewerbung dazu, Geldersparnisse) besser gewesen wäre, in Deutschland zu bleiben und dort einen Zivildienst abzuleisten. Da war ich in einer gewissen lokalen und kulturellen Krise, aber diese bewältigte ich dann überraschend schnell. Ich bin zwar nach wie vor der Meinung, dass Merle sich schneller anpassen konnte als ich und es ihr leichter viel, „Änderungen des Plans“, mal ganz generell gesagt, zu akzeptieren, aber ich lernte dazu und fand es gerade wichtig, sich an bestimmten Punkten zu überwinden. Dann waren da Dinge wie das Essen, Bräuche und Gespräche, in denen ich wiederum einen voll integrierten Eindruck machte, wie ich glaubte – innen ist eben nicht immer außen, aber auch das kann sich im Laufe der Zeit ändern. Und genau so kam es: ich bin heute davon überzeugt, dass die in der oberen Klammer angegebenen Werte wie Beruf und Geld nicht annähernd die gleiche Bedeutung und dasselbe Gewicht haben wie die Erfahrungen, die ich hier in Afrika gemacht habe, mit dem Volk und mit dem Land. Ich bin froh und stolz, dieses Jahr durchgezogen zu haben, gerade obwohl ich am Anfang ein paar Schwierigkeiten hatte. Denn dann kam auch der Beweis: in den letzten fünf Monaten lebte ich afrikanisch. Ich machte Feuer, holte Wasser, wusch mir meine Finger wund und schlief mit Kakerlaken in einem Zimmer auf dem Boden, baute mir ein Regal aus Holzbrettern und Ziegeln und bekam Malaria. Da gab es natürlich Dinge, die nicht so angenehm waren, aber das gehört dazu. Ich habe in der zweiten Hälfte meines Dienstes voll zu diesen Dingen gestanden und war froh, in Afrika zu sein. Mir gefiel so vieles, sei es teilweise das Essen, sei es die Wärme, seien es die Menschen mit ihrer lockeren und unverkrampften Art in all ihrer enthemmenden und natürlichen Einfachheit. Das habe ich genossen. Und manchmal blieb ich stehen, wo ich gerade noch halb deutschen, halb Afrikanischen Schrittes ging, und schaute um mich, atmete tief ein und dachte, mit einem Schauer über meinem Rücken: Du bist in  Togo! Die Sonne lacht dich an und genauso das Leben und ebenso die Menschen, vergiss das nicht und genieße es, nimm das alles auf uns sauge es ein und bring davon so viel wie möglich mit nach Deutschland, wo alle mit grimmigen Mienen auf Arbeit stürzen und gar nichts mitkriegen von ihrem großen Glück, dieses Luxus zu haben, nicht über die nächste Mahlzeit oder das Nachtlager oder die Gesundheit nachdenken zu müssen. Das war befreiend, und in diesen Momenten war ich Afrikaner. Ab einem gewissen Punkt war Togo mein zweites Heimatland, unsere Hütte in Djékotoé und der Hof bei Edih in Lomé mein zweites zu Hause und die Menschen um mich herum meine zweite Familie. Da fühlte ich mich wohl und war angekommen.

Der wohl größte Unterschied zwischen uns Europäern und den Afrikanern in diesen traditionellen Gebieten, wie es die Dörfer, in denen wir gearbeitet haben, nun einmal sind, liegt aus meiner Sicht in der Kultur – etwas, dass sich über Jahrtausende unabhängig voneinander entwickelt hat.

Wir sahen und lernten in Togo das, was wir in Deutschland höchstens durch liberale Geschichtslehrer oder Doku-Reihen gespeichert hatten: Die Menschen dort sind vom Grundsatz her nicht anders als die Menschen hier – sie haben alle zwei Augen, zwei Hände, zwei Arme, zwei Beine, zwei Füße, einen Bauch, einen Rücken und so weiter. Sie denken und sie kommunizieren und sie rechnen und sie lesen und…sie machen so gut wie alles was wir tun, und allein die Tatsache, dass ich es für notwendig halte, diesen Punkt noch einmal zu verdeutlichen, zeigt auf, wie wenig manche Europäer über ihre Artgenossen in Afrika oder Südamerika wissen. Für mich ist das sonnenklar – die Afrikaner sind wie wir, da gibt es keinen grundlegenden Unterschied, von „Wert“ möchte ich überhaupt nicht anfangen. Dennoch verhalten sich die Afrikaner in ihren Ethnien anders, als wir Europäer es tun. Das ist vollkommen logisch, da sie, wie oben angesprochen, über mehrere Jahrtausende hinweg anders lebten als wir, da sie ihre eigene Entwicklung hatten unter den ihnen gegebenen Bedingungen. So entstanden diese unterschiedlichen Kulturen.

Wenn ich nun daran denke, wie Merle und ich mit den Kindern, den Großmüttern und allen „Agbadja“ – den traditionellen Tanz der Ewe tanzten und uns dabei frei fühlten, dann kann ich die Frage nach der gelungenen Annäherung an die Kultur nur mit „ja“ beantworten. Wir aßen Maisbrei und Süßkartoffel, trommelten und sangen Ewe-Lieder, grüßten Leute und schalten Kinder auf Ewe, kauften auf Ewe ein, wir schliefen auf dem Boden und wir wuschen mit der Hand – wir lebten, mit einigen Ausnahmen, wie die Leute im Dorf. Und das war, was es ausmachte, was es so wertvoll machte, diese besondere Erfahrung neben der Arbeit.

Natürlich gab es aber auch immer kulturelle Differenzen, die schwerer zu akzeptieren und zu verstehen waren, mit ihnen war nicht so leicht umzugehen. Beispielsweise die Tatsache, dass viele Togolesen von ihrer Mentalität her kein Volk sind, das offen alle Probleme anspricht und sie diskutiert, so wie wir es gewöhnt sind. Es kommt häufig vor, dass du dir als Freiwilliger sicher bist: „der hat irgendwas.“ Aber du kannst nicht viel tun, denn wenn du ihn fragst, was los ist, weil du beim besten Willen nicht weißt, was ihm fehlt, ob du ihn vielleicht beleidigt hast oder ähnliches, dann wird er dir immer nur sagen, dass es ihm schon gut geht.

Mir war es von Anfang an sehr wichtig, viel Kontakt mit Menschen zu haben und dass dieser Kontakt gut und herzlich ist, dass es bleibende Freundschaften gibt. All diese Wünsche sind mir erfüllt worden, und ich glaube den meisten Freiwilligen aus dem Gewissen zu reden und die Wahrheit auszusprechen wenn ich sage: Das verdanken wir vor allem der offenen und unkomplizierten Art von Jung und Alt in Afrika. Nun könntet ihr als Leser dieses Textes nach beinah sechs  Seiten sagen: Das haben wir doch alles schon einmal gehört. Sicher. Ich auch. Aber darum geht es nicht. All diese Dinge haben eine besondere Wirkung einen zwischenmenschlichen Zauber, den man erleben muss.

Dieses Jahr in Afrika hat in mir nicht nur Spuren hinterlassen, sondern es hat meine Persönlichkeit weiterentwickelt, gestärkt und meinen blick erweitert. Ich sehe Europa und die Welt mit anderen Augen, nicht zuletzt Afrika selbst. Als ich vor etwas mehr als drei Wochen in Deutschland landete, von meiner Mutter am Flughafen abgeholt wurde und leise surrend, allein mit ihr im ganten Auto über die Autobahn glitt fühlte ich mich ein wenig wie in einem Videospiel: alles war bekannt, aber die Tatsache, dass ich selbst auch dort war, wo die bekannten Häuser, Gegenstände, Menschen waren, das war kaum zu fassen. Und einen Tag später sah ich all diese schrillen Läden mit diesen vielen, vielen – viel zu vielen – Dingen in den Schaufenstern, die selbst wir größten Konsumenten niemals konsumieren können, und fragte mich, ob wir das denn alles brauchen. Aber, ob man es glaub oder nicht – ich war froh, wieder in Deutschland zu sein. Froh, diese Möglichkeiten zu haben, die mir das Leben hier bietet. Und ich glaube, ich habe mein Leben in Deutschland selten oder gar noch nie so genossen, wie ich es seit meiner Rückkehr tue.

Ich werde nicht vergessen können,

was tief ist in mich eingebrannt

und wenn ich dasitze beim Sinnen

bist du das jen’ge das mich fesseln kann.

Afrika, ich danke dir.

Ghanareise – Ausführlich

05. August 2011, Lomé

Unser großes Highlight des Monats, zum Ende des Juli, war auch eine bedeutende Wegmarke im Verlauf unseres gesamten Freiwilligendienstes: Unsere Reise nach Ghana. Geplant war der Grenzübergang am vorletzten Samstag des Monats in Lomé hinüber zur ghanaischen Grenzstadt Aflao, anschließend Fahrt nach Accra, die Hauptstadt Ghanas. Von dort aus würden wir die weiteste Direktstrecke unserer Reise auf uns nehmen: 12 Stunden einfach nur in den Norden mit leichter West-Krümmung, bis in die District-Hauptstadt Wa. Aus Wa würde es innerhalb einiger Minuten nach Kaleo gehen, wo wir dann einige Tage bei unseren Sfd-Kumpels Christopher und Hans verbringen würden um dort unter anderem auch fünf Bildungsersatztage abzuleisten. Dann sollte es in den Mole Nationalpark etwas weiter im Landesinneren gehen und anschließend der Weg über die Grenze nach Togo auf unbekannten Wegen gesucht werden. Dort würden wir Serges Cousin Virgil in Dapaong besuchen, mit dem er in seiner Kindheit wie ein Bruder zusammengelebt hat, und anschließend über die großen Städte Kara, Sokodé und Atakpamé bis nach Anoum, unser altes Dorf fahren, wo wir eine Nacht bleiben und anschließend nach Lomé starten würden. La Boucle sera bouclée!

 

Ganze Geschichte gestaltete sich beinahe so, wie hier im Plan beschrieben.

Wir startete n etwas später, da Merle sich am Samstag nicht gut fühlte, am Sonntag ging es also los. Die Fahrt nach Accra verlief recht reibungslos, und auch sonst hätte es keine Probleme mit der Reise gegeben, wenn wir gewusst hätten, dass man Bustickets für lange und mittellange Fahrten in Ghana schon eine geraume Zeit vor der Abfahrt kaufen muss. So war unser 22-Uhr-Bus schon ausverkauft und wir mussten den 19-Uhr-bus nehmen, was für die Ankunftszeit in Wa bedeutete, dass sie vermutlich von Ulli und Hans nicht eingehalten werden konnte und wir warten müssten. Zudem verpassten wir die Gelegenheit, uns Accra richtig anzusehen. Wir fuhren zwar durch und waren beeindruckt (nur diejenigen, die munter waren, waren beeindruckt 😉 ), wie sauber, strukturiert und entwickelt Ghanas Hauptstadt ist, doch unseren Plan, eine Art „Stadt-Tour“ zu machen, konnten wir nicht in die Tat umsetzen.

Die Busfahrt verlief einigermaßen problemlos, nur unsere Zustände änderten sich. Wir wurden nicht etwa gasförmig, aber während es Merle immer besser ging, wurde mir schlecht und der Magen rumorte. Als wir in Wa ankamen, hatten wir unsere Krankheit getauscht und ich fühlte mich schlecht.

Wie ein Wunder wirkte, dass Christopher und Hans dann doch sofort vor Ort und Stelle waren und ich nicht einmal mehr mein Vorhaben vollenden konnte. Dennoch ging es mir gleich besser, als ich die beiden sah. Nach einer Stunde in Wa, die wir unterschiedlich mit Laufen, Einkaufen und dem Erkunden der öffentlichen Sanitäreinrichtungen verbrachten, fuhren wir mit einem Trotro nach Kaleo, die Einsatzstelle Hans’ und Ullis. Christopher bemühte sich, mich bei Laune zu halten und erzählte mir so allerhand über geile, Verzeihung „Goil“-Tankstellen und Kaleo, ich war eher bemüht, so schnell wie möglich in eine liegende Position zu kommen. Nach zehn Minuten Marsch gelang mir das dann auch in Ullis Zimmer.

Diesen Tag verbrachten Merle, Serge, Christopher und Hans vorrangig mit Quatschen und ein wenig Schlaf, während ich flachlag und versuchte, mein gekommenes und schlagartig angestiegenes Fieber zu senken. Dabei kümmerten sich vor allem die Hausherren sehr angenehm um mich.

Am nächsten Tag sah die Welt schon anders aus, ich konnte mich erheben und es ging mir besser. Somit waren wir bereit für einen Schulrundgang, fachmännisch begleitet von Christopher, während Hans Prüfungsaufsicht hatte, und so lernten wir auch die Gegebenheiten auf dem Campus der Kaleo Senior High Technical School und den Direktor kennen, Ulli setzte uns in Bild.

Wir kümmerten uns auch gleich um die Planung unserer kleinen Arbeitseinheiten hier in Kaleo, was am besten im gleichen Bereich zu tun war, in dem auch unsere beiden Freunde das ganze Jahr gearbeitet hatten.

In diesen fünf Tagen tippten wir Prüfungen, waren an den Aufsichten beteiligt, ordneten Daten und korrigierten mit Ulli und Hans Prüfungen. Das Ganze war recht interessant und auch hin und wieder amüsant, vor allem angesichts des Bewertungssystems der beiden und dessen Auswirkungen.

Insgesamt war unsere Zeit in Kaleo schön und interessant, wir waren auf dem Markt, lernten verschiedene Drinking Spots und generell das Dorf kennen und konnten auch einen umfassenden Eindruck von der Behausung der beiden gewinnen: Ulli und Hans leben mit Jason, einem amerikanischen Peace-Corps-Freiwilligen zusammen in einem recht großzügigen Haus mit fließendem (Grund-)Wasser und Strom. Die Küche ist recht ordentlich eingerichtet, die größte Überraschung war sicherlich der Sandwichmaker, der uns da entgegenblitzte. Auf jeden Fall gibt es einiges an Unterschieden zwischen unserem togolesischen Heim und dem der beiden anderen Sfdler.

Am sechsten Tag machten wir uns nachmittags nach dem Stuff meeting Christophers und Hans‘ auf nach Wa, zurück in die „Hauptstadt Ghanas der Muslime“. Hier hofften wir,  bei einem Freund unserer beiden Kumpels für die Nacht unterkommen zu können, da wir am nächsten Tag nach Larabanga in der Nähe des National Parks fahren wollten.

Der erste Weg war der zum Immigration Office. Dort kamen wir geradeso noch rechtzeitig an, die Uniformierten schlossen schon beinah die Pforten. Auf dem Absatz vor dem Büro trafen wir dann auch Mr. Michael, der stolz seine Dreisterneuniform trug und auch sonst einen von sich überzeugten Eindruck machte. Auf mich wirkte er äußerlich allerdings eher wie eine Maus. Naja, der erste Eindruck. Wir schilderten ihm unser Problem und fragten ihn, ob man das Visum nicht unkompliziert um einen Tag verlängern könnte. Christopher und Hans hatten da einen ganz interessanten Trumpf in der Hand, der zu wirken schien. Allerdings redete er erstmal eine Weile davon, dass nicht viel zu machen sei und wir eigentlich das Visum für einen weiteren Monat bezahlen müssten, wenn wir verlängern wollten, und dass das Erreichen der Grenze am Freitag bei unserem Programm im Grunde nicht möglich sei. Immerhin erfuhren wir von ihm und seinem Mitarbeiter, dass unser Visum tatsächlich bis zum Freitag gilt, der Einreisetag zählt nicht. Viel raus kam bei seinen Erklärungen meiner Ansicht nach nicht, er ließ uns danach in seinem Büro Platz nehmen. Er schaute sich unsere Pässe an und dann sollten wir ihm unsere Reiseroute erklären und den Ort nennen, an dem wir die Grenze überqueren wollten. Kongo, die Grenzstadt nahe Dapaong war, wie Mr. Michael uns darlegte, gegenwärtig nicht geöffnet. Nur eine Grenze ganz im Norden, weit von unserem Ziel ab, und eine ein ganz Stück weiter südlich waren offen. Wir entschieden uns für die südliche Grenze, die warn unserem Zielort Dapaong näher. Dabei stellte sich allerdings eine Frage: Wie sollten wir dorthin gelangen? Nicht nur, dass die Straßen dorthin schon auf der Karte kreuz und quer, krumm und ungerichtet aussahen, nein, dann hieß der Ort auch noch so verflixt uruguyanisch! Oder jedenfalls irgendwas mit Ugugu! Man sollte sich hier nicht über uns ahnungslose Europäer lustig machen, denn, festhalten, was die Ghanaer mit ihren eigenen Städten namenstechnisch veranstalten, kommt audiovisuellen Misshandlungen gleich: Zurück im Büro Mr. Michaels, baten wir ihn, uns den Namen der Grenzstadt aufzuschreiben.

„Sir, could you please write down the correct name of Bunkpurugu for us, so that we can find it when it’s necessary?”

“Sure”, sagte Mr. Michael, “How do you call it?” Er wendet sich an seinen Untergebenen: “What town? Buk…-?“

Der Untergebene: „Burpru…wait. Bukurrugu.“

Na klar.

Wir mussten ziemlich heftig lachen, die Ghanaer wussten selbst nicht, wie diese Grenzstadt heißt! Auf dem Zettel den wir dann bekamen, stand dann das Unglaubliche: Bumprugu. Logisch, Bumm prugu, da knallt’s ordentlich. Wir mussten an uns halten, die Sympathie des Offiziers nicht durch total unkontrolliertes Gelächter zu gefährden.

Um es aufzuklären: Die Stadt heißt Bunkpurugu, wird aber von allen Bunkprugu ausgesprochen, mit einem Schnalzen beim „kp“. Klar?

Mr. Michael schien uns keine Gratis-Visumsverlängerung für einen Tag geben zu wollen, weswegen wir uns mit seinem Versprechen begnügten, uns telefonisch helfend zur Verfügung zu stehen, sollten wir an der Grenze Probleme bekommen. Mit eher gemischten Gefühlen gingen wir zurück zum Internetcafé.

Hier war es Zeit, unseren Gastgeber für die kommende Nacht mal ein kleines bisschen besser kennenzulernen und ein wenig mit ihm zu quatschen. Darüber hinaus waren wir aber auch ziemlich „chaud“, mal wieder ins Internet zu kommen, und so nutzten wir die Gelegenheit. Unter anderem schickte ich endlich der JSA eine Nachricht, dass wir gut in Ghana angekommen waren und es uns mittlerweile allen einigermaßen gut ging.

Nebenbei profitierten wir von der Freundschaft Hans‘ mit dem Internetcafébesitzer (Hans hatte hier die ganze Technik eingerichtet), indem wir nicht nur 1.5 Gigabyte ghanaische (und amerikanische, fällt kaum auf) Musik ziehen konnten, sondern auch nicht einmal etwas bezahlen mussten.

Der Rest des Abends wurde dann eher entspannt. Wir kauften uns etwas zu Essen und fuhren dann mit einem Taxi in den „schönsten Drinking Spot Was“, wie Ulli und Hans fanden. Dort war es wirklich ganz nett, mal nicht so offen zur Straße sondern in einem gemütlichen  Innenhof tranken wir unser erstes Club, DAS ghanaische Bier schlechthin. Ich weiß gar nicht, ob es in Togo überhaupt ein Bier gibt, das auch namentlich togolesisch ist, und nicht nur hier gebraut wird. Wir saßen da und unterhielten uns so über dies und das während ich gegenüber Serge schon ein schlechtes Gewissen bekam, da er uns ja nicht verstand, wo wir doch die ganze Zeit Deutsch redeten.

Gegen zehn Uhr machten wir uns dann vom Acker, da wir morgen ja früh raus mussten. Zunächst zurück zum Internetcafé und dann von dort zu einem Freund des Besitzers, bei dem wir diese Nacht unterkommen konnten. Christopher, der heute noch zurück nach Wa fahren würde, kam mit dem Moto nach. Die Fahrt dorthin gestaltete sich nicht sehr einfach und im Haus des Freundes, besser gesagt vor seinem äußerst einfachen Zimmer, begrüßte uns ein kläffender Hund. Der Muslim, der uns hier begrüßte, war sehr freundlich und überließ uns dann sogar sein ganzes Zimmer, er selbst schlief in einem benachbarten Raum. Überall auf dem kleinen Innenhof dieses Hauses standen diese bunten Plasteteekannen, die nicht für heißen Tee, sondern für ganz normales Wasser verwendet werden. Die Muslime haben sie sich hier schon zum Erkennungszeichen gemacht, die Kanne ist für sie sehr praktisch, da sie sich ja vor jedem Gebet waschen müssen. Generell ist der Norden Ghanas wie auch der Norden Togos sehr viel muslimischer als der Süden. Wa ist zudem die Hochburg der Muslime in Ghana, wie wir von Ulli erfuhren. Auf dieser Reise fühlten wir uns manchmal gar nicht so in Afrika sondern mehr in der Welt des afghanischen Schriftstellers Khaled Hosseini – immer hörst du den Muezzin.

Hier angekommen legten sich Merle und Serge schnell hin und schliefen ein, auch Hans tat es ihnen nach kurzer Zeit gleich. Ulli und ich sahen das nicht so ein und saßen noch bis 2 Uhr morgens (4 Uhr mussten wir wieder aufstehen) in dem Zimmer und unterhielten uns über was uns eben gerade beschäftigte, tauschten Erfahrungen aus. Diese Gespräche sind nicht selten amüsant, aber generell bin ich sehr froh über sie, weil sie einen interessanten Austausch von Gefühlen, Erfahrungen und Erlebnissen in unserer afrikanischen Zeit darstellen. Dazu bin ich mit noch sonst keinem außer meinen Leuten in Togo gekommen.

Gegen zwei also machte sich Christopher vom Acker, mit einem alternden, aber immer noch gut funktionierenden Moto. Ich verdamme mich dafür, dass mir unser Schlusswort jetzt nicht einfällt.

 

Gestern war ich dann einfach ins Bett gefallen, musste allerdings zur Empörung des Schlosshundes noch einmal aufstehen, da in meinem Magen irgendwas nicht richtig funktionierte. Dann aber kam endlich endlich zu Schlaf, und zwar genau anderthalb Stunden, ehe der Wecker klingelte und alle sich regten, aufstanden und ihre Sachen zusammenräumten – es kam mir vor, als wäre kaum eine halbe Stunde vergangen, seitdem Ulli gegangen war.

Mit Unbehagen stellte ich fest, dass ich wieder ziemliche Bauchschmerzen und ein insgesamt ungutes Gesundheitsgefühl bekommen hatte. Ich war mir eigentlich sicher, alles überstanden zu haben, doch da hatte ich mich offenbar geirrt. Unter den Rufen des Muezzins schritten wir durch die noch dunklen und leeren Straßen Was, bis zum Busbahnhof, wo wir gestern versucht hatten, Karten für den Bus nach Larabanga zu bekommen, es aber nicht geschafft hatten. Hier standen nun deutlich mehr Menschen, als ich um diese Zeit erwartet hatte, aber ich sollte vor allem am nächsten Tag noch dazu lernen, was die Belegung von Bussen, den Vorverkauf von Bustickets und die Überlastung des Bussystems in Ghana betrifft.

Zunächst luden wir unser Gepäck an einer Bank (es gibt überall Sitzgelegenheiten in Ghana – ein echter Unterschied zu unserem Einsatzland) Es sah erstmal eine Weile ziemlich schlecht für uns und unseren Wunsch nach Karten aus. Ungefähr vier Busse sollten in der nächsten halben Stunde auf diesem Hof gefüllt werden und der Kartenverkauf lief parallel ab odersollte es zumindest. Hans war uns hier eine echte Hilfe. Während Serge ja nicht viel verstand und ich ihm Neuigkeiten immer erklären musste, machte mir mein Bauch echte Probleme und ich war zunehmend schlecht drauf. Doch da mussten wir durch, das sagte ich mir jedenfalls, Hans stand beharrlich bei der aus seiner Sicht richtigen Verkäuferin an und rannte ihr auch hinterher, wenn es sein musste, sowie versicherte mir, dem Nicht-Ghanaer, dass wir schon Karten kriegen werden. Ich kaufte derweil teures Essen ein: Kekse, Brot und Thunfisch.

Als ich die Verpflegung zu den wartenden Merle und Serge geschafft hatte, entwickelte sich aus einer harmlosen Situation zwischen Merle und mir ein ernsthafter Disput. Nicht, dass wir das nicht schon kannten, aber hier ging es um ein grundlegendes Problem. Zudem explodierte mir dann auch noch eine Wassertüte in der Hand – viel schlechter konnte es jetzt nicht werden. Und es wurde auch sofort besser: Hans kam mit drei Karten für den Bus nach Larabanga zurück, die er auch noch für den Korrekten Preis, umgerechnet drei Euro, bekommen hatte. Das ist ungewöhnlich, da morgens die Tickets in der Regel schwarz zu einem teureren  Preis verkauft werden. Ich verstaute meinen großen Rucksack und musste dafür erneut zahlen, dann stiegen wir ein und verabschiedeten uns dankend von Hans.

Es war das Ende eines schönen Aufenthaltes in „Hans‘ und Ullis Ghana“, während dem wir von den beiden sehr zuvorkommend behandelt, ja, bemuttert wurden. Ich möchte euch beiden noch mal Danke sagen – ihr habt uns hier wirklich geholfen und seid tolle Freunde.

Und auf einmal saßen wir in diesem „Metro-Bus“ nach Laranbanga, ein ehemaliger englischer Linienbus, orange von außen und halbwegs in Form von innen. Etwa eine Stunde rollten wir recht entspannt über asphaltierte Wege, meine Bauchbeschwerden wurden langsam, ganz vorsichtig besser erträglich. Ich unterhielt mich recht viel mit dem Mann direkt neben mir. Er war Kunsthändler und vor auf einen Markt noch hinter Larabanga. Jeden Tag etwa dreieinhalb Stunden Fahrzeit für die Hinreise, das gleiche am Abend zurück. Und dann der Preis! Da ist es schon nicht einfach, Gewinn zu machen.

Er erzählte mir unter anderem etwas über die runden Häuser mit ihren runden Strohdächern, an denen wir nun zunehmend vorbeikamen. Der Weg führte zwar gen Südosten, doch vor allem im Norden finden sich diese Nomadenhäuser, die Behausungen der „flanny people“, wie mir mein Nachbar erklärte. Nach der ersten Stunde wurden Weg und Fahrstil abenteuerlicher. Die Straße war nun nur noch rote Erde mit vielen kleinen Hügeln, der Fahrer, ein älterer Mann mit harten Gesichtszügen und einer nach links zur Seite geklappten Kappe – „Ich will keinen Stress“, wenn ich mich nicht irre – raste mit enormer Geschwindigkeit über diese kleinen Hindernisse hinweg. Teilweise fühlte ich mich wie in einem Höllenmobil. Der Bus stöhnte und arbeitete sehr laut, während draußen die grün-rote Natur im Affenzahn vorbei rauschte.

Apropos Affen: Bereits hier wurde ich (ja, nicht etwa wir: Merle und Serge schliefen mal wieder)  zum ersten Mal Zeuge frei in der Natur lebender Affen. Gleich eine ganze Familie mit drei größeren und vier kleineren Äffchen einer ohnehin schon eher kleineren Gattung überquerten springend und schwanzrollend vor uns die Straße und verschwanden in der grünen Wand neben dem roten Strom, ehe unser Bus ihnen nahekommen konnte. Ich war begeistert! Affen in freier Natur. Das war schon was.

Nach etwa drei Stunden kamen wir in Larabanga an. Besonders munter waren wir alle nicht, ich war aber schon deutlich zufriedener als am Morgen, da meine Schmerzen beinah verschwunden und meine Augen Zeuge wilder Affen geworden waren.

Unsere Ankunft hier gestaltete sich tatsächlich so, wie Hans und Ulli es vorausgesagt hatten. Doch Ulli hatte mir gestern zu später – oder besser: heute zu sehr früher Stunde erklärt, wie ich mich am besten verhalten sollte. Die Leute ignorieren und ihnen keine Infos anvertrauen, einfach Gepäck nehmen und in Fahrtrichtung weitergehen, wo wir dann auf ein grüngestrichenes Guest House treffen sollten. Und so war es, eigentlich konnten wir dieses schon von dem Haltepunkt des Busses aus sehen. Das Salia-Brothers-Guest-House sah ein wenig herunter gekommen aus, aber was soll es, Christopher und Ulli meinten, den Brothers könnte man komplett vertrauen.

Als wir eintraten, trafen wir auch sofort Al Hassan, den Besitzer des Guest House und wohl Ältesten der Brüder. Wir hatten sofort das Gefühl von großer Vertrauenswürdigkeit, so, wie es uns Christopher und Hans beschrieben hatten. Es war, als würden wir einen Schrein auf einem touristischen Schlachtfeld betreten, dessen Ruhe von der garstigen Außenwelt nicht gestört werden kann.

Hier, im kleinen Innenhof des äußerlich eher heruntergekommenen Guest House lernten wir einen jungen Mann kennen, ein Deutscher, der schon vor einem Jahr seinen Freiwilligendienst in Ghana absolviert hatte und das Land nun noch einmal besucht. Wir unterhielten uns recht nett und tauschten uns ein wenig über die hiesigen Gegebenheiten und unsere Pläne aus.

So erfuhren wir, dass Karsten* den National Park erst am nächsten Tag besuchen wollte, während wir das alles ja in einem Ritt am heutigen Tag vorhatten, da uns laut Visum nur noch ein Tag in Ghana blieb.

Erste Instanz war allerdings Duschen und etwas essen. Es gab Brot und Dosenthunfisch aus Wa und später ließ uns Al Hassan mit ihm Akoumé und Fischsoße essen. Al Hassan gab uns die wichtige Info, dass die Fußsafari, die wir im National Park machen wollten, erst 15.30 losgehen würde, aktuell war es gerade 12 Uhr. Da blieb uns also noch eine Menge Zeit, allerdings wollten wir auch nicht allzu spät in den Park fahren, da wir damit rechneten, auch selbstständig noch einiges erkunden und beobachten können zu werden. Wichtig war noch, wie wir die knapp sechs Kilometer bis zum Mole National Park zurücklegen würden. Auch da hatte Al Hassan die Lösung parat: Fahrräder. Motos wären teurer gewesen und für uns landschaftsinteressierte Touristen, die wir hier nun einmal waren, sowieso nicht so romantisch. Die Fahrräder beschaffte Al Hassan, als wir Serges Bestätigung eingeholt hatten, dass er Fahrradfahren kann. Er war beinahe empört, Merle und ich fanden allerdings schon, dass diese Frage angebracht war.

Die Zeit bis 13.30, als wir losfahren wollten, vertrieb ich mir mit dem Waschen einiger Kleidungsstücke und meines Bettlakens, Merle und Serge schliefen. Später liefen wir noch mehr oder weniger interessiert durch den Ort von Larabanga, wo es zugegebener Maßen nicht enorm viel zu sehen gibt, außer einer Attraktion, die wir uns wegen des hohen Eintrittsgeldes verkniffen: die älteste Moschee Afrikas steht hier im Norden Ghanas, erbaut im 15. Jahrhundert.

Dann schwangen wir uns auf die Räder uns los gings, auf zum National Park!

Naja, so halb. Serge musste zunächst feststellen, dass die Bremse seines Rads nicht nur schlecht eingestellt war, sondern überhaupt nicht funktionierte. Dafür war das abschüssige Stück, das am Anfang unseres Weges lag, wirklich hervorragend geeignet: Serge bremste mit seinen Füßen und es war kaum möglich, angesichts so viel Bodennähe nicht zu lachen. Wir konnten das Rad tauschen und zehn Minuten später ging es dann wirklich los.

Das geringe Risiko, einen Löwen zu treffen, störte uns in diesen Momenten nicht, außerdem vermittelte das Gelände auch wenig den Eindruck von Raubtierreichtum. Wie wir später erfahren sollten, wimmelt es im National Park nur so von Löwen und Leoparden, weniger sicherlich in der Nähe der doch recht breiten Straße zum Mole National Park. Wir enterten nach etwa drei Kilometern Strecke den das Gebiet des Nationalparks und bezahlten den Eintritt von 10 Cedis pro Person, etwa 5 Euro. Von Touristen war hier noch nichts zu sehen, nur einmal begegneten wir einer Affenfamilie, kleine weiß-graue Affen, und einem Warzenschwein. Letzteres machte schon ziemlichen Eindruck auf uns, erinnerte uns vor allem an Pumba von König der Löwen, so ein Warzenschwein sieht man ja auch nicht alle Tage, mit anderen Worten: nie.

Innerhalb weniger Minuten erreichten wir die Touristeninformation des Nationalparks, ein hübsches, modernes Backsteinhaus mit Infoschalter und teurem kleinen Lebensmittelladen, in dem es Wasser, Limo, Eis und Kekse gab. Touristengebiet eben. Wir sahen hier dann auch schon die ersten Weißen, die so im Schatten der Bäume umher flanierten, und wir selbst machten uns dann auf in Richtung der „Terrasse“, einem Spiel der Landschaft, das uns ermöglichen würde, auf die Tiertränke im Tal hinunter zu blicken. Soweit zumindest die Information von Ulli und Hans. Auf dem Weg dorthin konnten wir die Hotelanlage anschauen. Für Europäische Augen sicherlich sehr einfach, fanden wir es doch beachtlich, dass man von den richtigen Hotelzimmern, etwa 6, 7 Stück in einer Reihe mit nur einem Stockwerk, direkt in das Tal und den sich unendlich weit erstreckenden Nationalpark schauen konnte.

Und dann standen wir am Rande dieses Plateaus. Was für ein Augenblick! Wie als hätte man ihn für uns bestellt, glitt in diesem Moment ein Elefant einsam in das afrikanisch-trübe Wasser der nach der Regenzeit bis an den Rand gefüllten, natürlichen Tränke und schwamm langsam in Richtung Mitte des Sees. Wir waren beeindruckt und fragten uns, was sich hier wohl die meisten fragen: Wie schön kann Natur eigentlich sein? Wir standen bestimmt zehn Minuten dort, gaben außer ein paar Ausdrücken des Staunens nicht viel von uns und spürten einfach nur die gigantische Schönheit und Reinheit der Natur. Ich hoffe, dass ich mich immer lebhaft an diesen Tag und diese besonderen Momente zurückerinnern können werde.

Das Fernglas, das mir ein Freund für einen Afrikaner meiner Wahl mitgegeben hatte, war uns hier eine tolle Hilfe, wir konnten so den Elefanten richtig beobachten und suchten dann die Landschaft nach weiteren Tieren ab. Da sahen wir Antilopen und sogar etwas, das aussah wie ein Krokodil, das ungefähr zwanzig Meter hinter dem Elefanten langsam im See vorbeitrieb. Später waren wir uns sicher, dass es ein Krokodil gewesen sein musste. Wir packten unseren am Vortag gekauften Reis aus und begannen zu essen.

Mit einem Mal wurden aufgescheucht, denn eine Gruppe Warzenschweine, sicherlich um die 7 Tiere, näherte sich uns scharrend und grunzend. Wir hatten ordentlich Respekt vor diesen Tieren und gingen ihnen besser aus dem Weg. Selbst Serge, der seinen offensichtlichen Appetit auf Schwein hier wieder einmal nicht verbergen konnte, ergriff die Flucht. Es wurde zu einem echten Problem, denn egal, wo wir mit unserem Reis hingingen – die Schweine folgten uns permanent. Uns blieb nichts anderes übrig, als den Reis nach und nach beim ständigen Wechsel unseres Standorts aufzuessen und die Tüten sicher in einem Müllkorb zu verstauen, ehe wir uns wieder zum Terassenende begaben. Es war übrigens in diesem Moment das einzige Mal, dass wir an diesem Plateau außerhalb der Hotelzone andere Weiße sahen. Ein Paar, wohl Engländer, wie ich mir erlaubte aus ihrem Akzent zu schließen, stand dort und staunte, machte Fotos. Gemeinsam verfolgten wir den nächsten Auftritt, diesmal war es eine ganze Elefantengruppe, etwa 6 große graue Tiere mit Autotürohren. Die blieben erst einmal eine Weile unter den Bäumen vor der Tränke und fraßen so dahin, bewegten sich dann majestätisch weiter Richtung See und stiegen alle der Reihe nach hinein. Welch Anblick! Wir waren zutiefst berührt, etwas ursprüngliches, grundlegendes fühlt man in diesem Moment tief drinnen und man hat das schöne Gefühl, dass diesen Tieren eben nicht die Heimat und der Lebensraum genommen werden wird, dass es ihnen hier gut geht und man sie in ihrem Leben unbehelligt lässt. Ganz korrekt war dieses Gefühl auch nicht, da wir ja hier zwischen touristischen  Bauten standen und die Elefanten sich sehr wohl unserer Anwesenheit vielleicht nicht in diesem Moment, aber ganz generell bewusst waren.

Die Zeit verfloss sehr schnell, als wir dort standen, das Fernglas von einem zum andere wandern ließen und die Natur genossen, den Blick schweifen ließen über die unfassbaren grünen weiten der afrikanischen Feuchtsavanne. So kam es, dass wir uns auf einmal beeilen mussten, noch pünktlich beim Ausgangspunkt der Fußsafari zu sein.

Hier lief nun, wie wir es auch anfangs angenommen hatten, alles korrekt ab, denn pünktlich gegen 15.30 Uhr begrüßte uns ein bewaffneter Ranger, der mit uns die Tour machen würde. Während wir uns amüsante Gummistiefel anziehen mussten, starteten zwei kleine Gruppen Weiße ihre Jeepsafari.

Wir schritten zu viert an den Hotelhäusern vorbei und traten dann einfach durch ein paar Büsche hindurch, um unsere Safari zu beginnen. Wir waren die einzigen Gäste zum „guided walk“, was eine positive Überraschung war, da wir auf diese Weise alle Fragen stellen konnten, ohne Rücksicht auf andere nehmen zu müssen. So erfuhren wir, dass es in diesem National Park etwa 300 Vogelarten, 16 Raubtierarten und einige Schlangen und Skorpione gibt. Unfälle mit Besuchern passierten so gut wie nie, der Ranger selbst habe noch nie einen erlebt, und gab auch noch hinzu: „wenn wir unseren Job richtig machen, kommt es zu keinen Situationen, in denen jemand gefährdet wird und wir die Waffe einsetzen müssen.“

Die erste und gleichzeitig beeindruckendste Attraktion der Safari war die Elefantengruppe, die wir vor einer halben Stunde schon vom Plateau aus gesehen hatten und die nun in nächster Nähe zwischen den typisch flachen afrikanischen Bäumen standen und sich mit Rüsselwasser bespritzten, Blätter mit ihren riesigen Zähnen zermalmten. Wir näherten uns unter den Ermutigungen des Rangers und die Elefanten bemerkten uns relativ plötzlich, als wir auf etwa 30 Meter herangekommen waren. Allerdings blieben sie völlig ruhig und fraßen weiter ihre Blätter, jedoch hatten sie uns nun voll im Blick. Wir gingen vorsichtig weiter, ergriffen und beeindruckt vom Augenblick, von dieser besonderen Situation Elefanten mal in freier Natur zu erleben. Führte man sich das vor Augen, dass es tatsächlich genauso geschaffen wurde, wie wir es hier sahen, war der Eindruck noch intensiver.

Bis auf etwa zwanzig Meter ließ unser Führer uns an die mächtigen Tiere herangehen, diese ließen sich nicht stören, sogar Fotos konnten wir problemlos machen. Wir lauschten nebenbei den Erklärungen des Rangers. Es seien die größten Elefanten, die es weltweit gebe, nur sei es eine Gruppe vorrangig junger, noch nicht ganz ausgewachsener Elefanten. Die zweite hier existierende Elefantenart bekamen wir nicht zu Gesicht. Doch mal ehrlich: Wir hätten nicht damit gerechnet, sofort bei unserer Ankunft Elefanten zu sehen.

In quietschenden Gummistiefeln schritten wir weiter und beobachteten Vögel und Pflanzen. Einmal zeigte uns unser Guide eine besondere Baumart, in der sich meist viele Tiere aufhalten würden, vor allem bei Nacht. Aus diesem Grund wurde der Bam zum Baum der Jäger, denn diese profitierten früher, als der Park noch nicht geschützt war, von dieser Tatsache, und schossen, wie es ihnen gefiel.

Nach einer Stunde Marsch und den natürlichen Salzlecksteinen der Elefanten und Stiere, die uns gezeigt wurden, gebot uns unser Ranger auf einmal Ruhe – wenn wir Antilopen aus nächster Nähe sehen wöllten, müssten wir still sein.

Und tatsächlich, es schien hier nur so von ihnen zu wimmeln! Die Tiere nannten sich auf Englisch „Kob“ und auf Deutsch, wie ich später herausfand „Kobantilopen“, also ja, wir haben eine Menge Antilopen gesehen! Dazu gesellten sich immer wieder Buschkühe, die sich vor allem durch ihre Ohren und die rehkitzartigen, weißen Flecken auf ihrem hellbraunen Körper von den Antilopen unterscheiden. Vor allem auch die mänllichen Antilopen und Buschkühe (-Rinder) waren majestätische, mächtige Tiere mit starken, schlanken Hörnern. Insgesamt versteckten sich diese Tiere jedoch viel vor uns und waren auch so schnell, dass es beinah unmöglich war, sie aus kürzerer Distanz aufs Foto zu bekommen.

Hoch in den Wipfeln eines Baumes sahen wir einen storchartigen Vogel mit langem spitzen Schnabel, der in seinem Nest stand und die Umgebung betrachtete. Fast anderthalb Stunden waren vergangen, als wir einen weiteren kleinen See, beinah einen Teich erreichten. Hier wurden wir nun endlich auch aus der Nähe Zeugen der hiesigen Existenz von Krokodilen. Langsam und bedrohlich schob sich ein gezackter grüner Rücken durch das Wasser, weit genug von uns entfernt, um nicht gefährdet zu sein, nah genug, um sich der Anwesenheit des Jägers bewusst zu sein.

Ab diesem Punkt traten wir den Rückweg an. Nicht die gleiche Strecke, aber schon bald sahen wir von unten die Hotelräume auf dem Plateau durch das Grün der von der Regenzeit genährten Pflanzen blitzen. Wir sahen Elefanten-, Antilopen- und sogar Stierhufabdrücke und durchschritten ein ausgetrocknetes Flussbett. Dann stiegen wir neben der großen Tränke wieder nach oben auf das Plateau und kamen dort heraus, wo wir vorher lange gestanden und gestaunt hatten.

Wir gaben unsere Schuhe ab und bezahlten, dann schwangen wir uns auf die Räder und fuhren wieder in Richtung Ausgang. So war der Tag beinahe vorüber, doch wir hatten viel gesehen und erlebt, waren guter Dinge. Kurz vor dem Ausgangstor fuhren ein Jeep mit seinen Yovo-Touristen und ein solcher oranger Metrobus, wie er uns nach Larabanga gebracht hatte, obendrauf an uns vorbei und staubte uns enorm ein. Aber das konnte uns heute nichts mehr.

Zwanzig Minuten später hatten wir uns die zwei Berge bis nach Larabanga hochgestrampelt. Mal so nebenbei: ein Fahrrad ganz ohne Gangschaltung war für uns auch neu.

Wir hatten es genau richtig gemacht: nun, da wir ankamen, wurde es dunkel. Das Angebot einiger Jungendlicher, heute Abend doch ein wenig mit ihnen „Disko zu machen“ konnten wir nicht wirklich annehmen, denn wir waren recht erschöpft und mussten am nächsten Tag schon wieder gegen vier Uhr aus dem Bett. Tja, Reisen in Afrika mag schön, aber nicht immer komfortabel sein.

Unser Abendessen bestand aus Akoumé und Fischsoße bei Al Hassan. Hier beobachteten wir übrigens einen uns noch fremden Brauch: Al Hassan bestand darauf, den Fisch selbst mit der Hand zu zerteilen und uns zu reichen, und es nicht von uns selbst tun zu lassen. Interessant, das fand auch Serge, der meinte, dass das in Togo niemand machen würde.

Merle und Serge verschwanden nach der Dusche schnell im Bett. Allerdings nicht einfach im Bett, sondern auf dem Dach des Salia Brothers Guest House. Ich ka etwa eine Stunde später nach, legte mich mit meiner Matratze auf einen anderen Abschnitt des Daches. Und ich war verzaubert, entzückt: Was für ein Anblick bot sich uns! So viele Sterne hatte ich noch nie gesehen. Auf der Erde um mich herum war es stockfinster, doch der Himmel leuchtete mit aller Kraft, es waren beinah mehr Sterne da als blauschwarze Flächen. Die Milchstraße, so hell und weiß, mitten am Himmel! Innerhalb von zehn Minuten sah ich fünf Sternschnuppen. Und das ist kein Witz.

 

Erneut Aufbruch gegen 4 Uhr, Sitzplatzkampf, Busfahrt von Larabanga nach Tamale, Umsteigen in Tamale und Busfahrt nach Bunkpurugu (Grenzort) Laufen bis Grenzstation und Motofahrt bis ins togolesische Dorf Tandjouré, Virgil holt uns mit Auto ab und fährt uns zu sich nach Hause in Dapaong, hoher Norden Togos

Heute war mit Sicherheit der reisereichste und in vieler Hinsicht einer der aufregendsten Tage nicht nur unserer Reise, sondern unseres gesamten Afrikaaufenthaltes. Nach einer kurzen, aber zumindest im wachen Zustand wunderschönen Nacht auf dem Dach unseres Guest House in Larabanga unter einem in seiner ganzen Herrlichkeit strahlenden Sternenhimmel, rafften wir gegen 3.45 Uhr unsere Sachen zusammen und warteten frühstückend auf den Bus, der für uns laut Gastgeber „locker und hundertprozentig“ zu erreichen zu sein sollte. Auf einmal Al Hassan, unser netter Gastgeber mit den Worten „Fast! There are very much people“ angerannt und wir eilten mit unseren Sachen, Brotstücken und einer offenen Dose Thunfisch zum von einer großen Menschentraube umstandenen Bus. Dort hatte Al Hassan sich nach innen gekämpft und kaufte für uns Tickets, während andere mit allen Mitteln versuchten, ebenfalls welche zu bekommen. Es war eine große Überraschung für uns, dass der Bus so extrem gefragt war und ein Privileg nicht zuletzt unserer Hautfarbe, dass wir dann mit Körpereinsatz in den Bus gelangten und, wie eine Gruppe Belgier, sogar noch einen Sitzplatz ergatterten. Das war gut, denn auf uns wartete die bis zu vier Stunden lange Fahrt nach Tamale, Richtung Nordosten.

Wie schon auf der Fahrt von Wa nach Larabanga, raste der Metro-Bus sobald er konnte mit enormer Geschwindigkeit über die schlechten Straßen. Das muss man sich einmal vorstellen: ein oranger, alter Bus, der in England mal als Linienfahrzeug gedient hat und die fünfzig bei seinen Stadtfahrten sowieso schon deswegen nie überboten hatte, da er nach wenigen Augenblicken an der nächsten Haltestelle wieder hatte anhalten müssen, düst hier mit knapp hundert Sachen durch die Afrikanische Landschaft, über Straßen, die mehr als holprig sind. Merle konnte sich bei unserem Hoch-Und-Runter-Gehüpfe auf der letzten Sitzreihe ein erstauntes Lachen nicht verkneifen.

Innerhalb von etwa drei Stunden erreichten wir die größere Stadt Larabanga. Wir landeten, wie so oft, auf einem Bushof und versuchten sofort, uns um Karten für den Bus nach Bunkpurugu, den Ort, den man nicht korrekt aussprechen kann und wo wir die Grenze überqueren wollten, zu kümmern. Uns begleitete ein einigermaßen sachkundiger geschätzt Zwölfjähriger, der ebenfalls nach Bunkpurugu wollte. Am Schalter dieser Station fanden wir allerdings schnell heraus, dass die Karten für diesen Bus schon ausverkauft waren, wir sollten später wiederkommen, um zu schauen, ob wir doch noch einen (Steh-)Platz bekommen könnten.  Das wollten wir eigentlich nicht, weswegen wir nach einem Frühstück mit Omelette (Merle) und Haferflocken mit einer Art Kakao (Ich) den Ratschlägen eines zufällig getroffenen Bunkpurugujaners folgten, und zur Station der Bank-Busse schritten. Da weit ausgeschritten, kamen wir noch rechtzeitig dort an: in einer halben Stunde würde ein Bus bis nach Nayrilungu oder so ähnlich – lasst mich mit den ghanaischen Städtenamen in Ruhe, es gibt auch noch jede Menge andere Ugus und Kete-Krachi – fahren, von wo aus wir entweder den gleichen Bus für teures Geld mieten oder ein anderes Vehikel zum Grenzort nehmen könnten. Ich kaufte noch schnell ein wenig Handy-Kredit ein, um meinen heute 17 Jahre alt werdenden Bruder anzurufen, und dann stiegen wir in den zugegeben ungemütlichen Bus. Aber wir wussten ja gar nicht, was uns heute noch alles so erwartete.

Wir fuhren tatsächlich gleich los und mussten nicht einmal für das Gepäck bezahlen, da wir den Fahrer vorher recht nett bequatscht hatten. Auf der Fahrt stellten wir amüsiert fest, dass das Lenkrad über eine ganz besondere Form der Servolenkung verfügen musste, denn bevor sich etwas in Sachen Richtungsänderung tat, musste man es beinah um 90° drehen. Der kleine Fahrer war damit aber sicherlich vertraut und fuhr sicher seinen Weg. Nach etwa einer Stunde Fahrt hörte der Asphalt einfach auf, mitten auf der Straße. Wir ruckelten ein wenig und düsten dann weiter, als der Schotterweg weniger uneben geworden war. Unterwegs fuhren wir an vielen größeren und kleineren Dörfern vorbei und stellten auch hier noch fest, dass hier in Ghana beinah jeder noch so kleine Punkt in der Landschaft   Anbindung zum Strom hat. Nach ungefähr drei Stunden hielten wir dann immer häufiger an, Leute stiegen ein und aus, schließlich erreichten wir Nayrilungu. Dort bot uns der Fahrer dann an, den Weg nach Bunkpurugu für drei statt der angebotenen fünf Cedis zu machen, da es jetzt mehr Fahrgäste gebe, als angenommen. Wir willigten ein, denn wirklich günstiger würden wir es mit einem anderen Auto auch nicht kriegen. Und wer weiß, wie lange wir gebraucht hätten, um einen Transport nach Bunkpurugu zu finden. Die Ghanaer sprechen die Grenzstadt übrigens „Bunkprugu“ oder „Bunkkrugu“ aus. Und das sind schon die, die in der Gegend wohnen.

Der Weg von Nayrilungu bis Bunkpurugu wurde für mich ab seiner zweiten Hälfte zu einem der interessantesten Punkte unserer gesamten bisherigen Reise. Zunächst fuhren wir ganz kurz über Asphalt, dann begann die Schotterstrecke. Nach einer halben Stunde Fahrt, wir kamen weiter und weiter in den Nordosten Ghanas, wurde das Gelände immer gerölliger und schroffer. Kleine Hügel erhoben sich und machten die Landschaft so spannend und besonders, da man nicht sehen konnte was sich außerhalb des Umkreises von hundert, zweihundert Metern des Busses befand. Das war sonst meist komplett anders, da das Gelände völlig flach war, wie im gesamten Süden dieser Länder Westafrikas. Auch die Vegetation änderte sich, die Farbenvielfalt nahm zu, wurde mediterran. Ich fühlte mich an Griechenland und Kroatien erinnert. Die Straße war nun nur noch ein Weg und eigentlich nicht mehr befahrbar, doch unser Bus machte sich nichts daraus. Rechts und links sahen wir nun immer wieder jene runden Hütten mit Bastdach, die schon den ganzen Tag über die Straßenränder unserer Reise gesäumt hatten. Nun standen sie allerdings weniger einzeln, sondern bildeten die Eck- und Zwischenpunkte der Mauern von kleinen Höfen, die zu großer Zahl nebeneinander oder mit großen Abständen zwischen einander in der hügeligen Landschaft stehen konnten. Uns (oder zumindest mir, die anderen schliefen die meiste Zeit) war klar, dass wir nun in einer andere Gegend gekommen waren, das fühlte man einfach. Hier sahen wir nun ungefähr genauso viele Eselkarren wie Motos und statt irgendwelchen anderen Gotteshäusern gab es hier nur noch Moscheen. Ich fragte mich, wie es wohl noch weiter im Norden aussah.

Eigentlich vermittelte uns die flagrante, bloße Einfachheit des hiesigen Lebens und die Landschaft das Gefühl, dass hier eigentlich nicht mehr viel kommen könnte. Einzig und allein die Hochspannungsleitung, die uns immerzu begleitete und nun kein einziges Haus mehr speiste, verriet, dass es da irgendwo noch etwas Versorgenswertes geben musste. Und so war es: Bunkpurugu war weiß Gott keine große Stadt, eher ein größeres Dorf, aber auf dem Zentrumsplatz, wo die wenigen Autos parkten, spielte Musik, war es bunt und viele Leute tummelten sich. Stromleitungen zu fast allen Häusern. Unser netter Fahrer half uns, dann, jemanden zu finden, der uns möglicherweise Motos zur Grenze besorgen konnte, und verabschiedete sich. Wir wussten, dass die Grenze noch ein Stück weg war, aber nicht, wie weit genau. Der Mann nahm uns mit zum „Chef“, der allerdings kein Englisch mit uns sprechen wollte. Wir fühlten uns wie die ersten Weißen, die die Bunkpurugunesen sahen: eine große Menschentraube umgab uns, einige starrten uns völlig entgeistert an.

Wir realisierten, dass wir uns zwar von vornherein vorgenommen hatten, im Nordosten Ghanas die Grenze zu überqueren, um wieder nach Togo zu kommen, aber keinen Schimmer hatten, worauf wir uns einließen. Ob es überhaupt offene Grenzen gab, wussten wir vor dem Besuch des Immigration Centers in Wa nicht.

Die Männer, die uns Motos besorgen konnten, sahen in uns allerdings offenbar nur Dollar- oder Cedizeichen und boten uns für die 6 Kilometer bis zu einer Autostation hinter der Grenze, die selbst etwa 2 Kilometer entfernt sein sollte, 20 Cedi pro Person als Preis an. Wir konnten eigentlich nur lachen, das war lächerlich, völlig daneben. Wir versuchten zu handeln. Wir unterhielten uns untereinander, dass wir ja bis zur Grenze zu Fuß gehen könnten. Auf einmal hielt ein Jeep unweit hinter uns an, auf der Motorhaube ein Emblem vom ghanaischen Zoll. Der fuhr bestimmt in Richtung Grenze, dachten wir, und entschieden uns, ihn zu fragen, ob er uns mitnehmen kann. Wir hatten das Glück, dass der Mann nicht nur zur rechten Zeit gekommen war, sondern auch nett war uns mitnahm. Die Strecke war ein einziges Gerüttel bei gefühlten 5 km/h über unmögliche Steine und Felsstücken. Aber wir kamen durch und wurden am Immigration Office von Bunkpurugu raus gelassen. Der Beamte im Wagen sagte, wir sollten die Formalitäten machen und danach auf ihn warten, er müsse im Dorf noch etwas erledigen. Dann würde er uns mit zur Grenze nehmen. Denn – wir schauten uns um – an einer Art Grenzübergang waren wir noch nicht, alles, was wir sahen, war die nun wieder flachere Landschaft du lauter vereinzelte Lehmhütten sowie vorbeiziehende Ghaner und Togolesen – einige grüßten mit „Bon soir“.

Im Büro des Immigration Service wollten zwei Beamte unsere Pässe sehen und stellten uns eine Menge Fragen. Welche Nationalität. (Welch Frage, hatten sie doch unsere Pässe schon in der Hand) Wo wir her kamen. Wo wir die Grenze nach Ghana überschritten hatten und weshalb hatten wir eigentlich Bunkpurugu als Grenzübergangsstelle gewählt? Wir erklärten alles und bekamen unsere Pässe mit dem Check-Out-Stempel zurück. Puhh, die Sache mit dem Fünf-Tages-Visum war also noch mal gut gegangen. Nun kam aber Serge, der hatte keinen Pass, und die Grenzbeamten erkannten seinen Ausweis offenbar nicht als ausreichendes Reisedokument an. Wir diskutierten eine Weile, immerhin waren wir ja auch in Aflao über die Grenze gekommen, was war denn der Unterschied zwischen hier und Aflao? Rein theoretisch würde mir da eine Menge einfallen, aber bezüglich des Grenzübergangs sollte es keine Differenzen geben. Letztendlich sagten sie, es würde kein allzu großes Problem sein, dieses Mal würden sie es durchgehen lassen. Ich dachte in diesem Moment, dass sie bestochen werden wollten, doch sie gaben uns Serges Ausweis zurück und ließen uns aufstehen. Ich erkannte, dass die Situation überstanden war, und fragte nun nach, wie wir denn nach der Grenze weiterverfahren könnten, schließlich wollten wir ja noch nach Dapaong, zu Serges Cousin Virgil, wo wir zwei Tage bleiben würden. Merle tat ich damit wohl in diesem Moment keinen Gefallen, die schon die ganze Zeit auf heißen Kohlen gesessen hatte und am liebsten nur abgehauen wäre. Aber der Mann antwortete uns freundlich. Es würde schwierig werden nach der Grenze, es gebe keine Motos oder Autos. Eigentlich war uns dass ja klar gewesen – auf der einen Seite der Grenze war nichts, wieso sollte dann auf der anderen Seite etwas sein. Das machte Sinn.

Draußen warteten wir dann fast zwanzig Minuten auf unseren Grenzbeamten im Jeep, doch der kam und kam nicht. Auch sagte uns einer der beiden Beamten vom Immigration Office, dass der Jeep vermutlich schon vorbeigefahren sei. Also blieb uns nichts anderes übrig, als die Straße in Richtung Grenze entlang weiter zu laufen. Es war interessant, die Leute, die Häuser, die Landschaft und diese ganzen Esel zu sehen. Dennoch ein eher ödes Land, das sicherlich bei Trockenzeit einen recht trostlosen Eindruck machen kann. Es dauerte eine Weile, bestimmt etwa vierzig Minuten, ehe wir die Grenze endlich sahen. Da war es schon 17.50 Uhr. Bald würde es dunkel werden, wussten wir, und Dapaong war weit. Vor allem hatten wir keinen Schimmer von dem, was auf der anderen Seite der Grenze lag. Wie weit war es zu einem Ort mit Autos? War um diese Zeit überhaupt noch an ein Taxi zu denken, hier in dieser Einöde? Wir mussten zur Hauptstraße, aber wie weit die weg war, keine Ahnung.

Am Übergang trafen wir jenen Mann wieder, der uns zunächst mit seinem Jeep zum Immigration Office gebracht hatte. Ein älterer Mann saß noch bei ihm, womöglich sein Vorgesetzter. Das Gespräch mit ihnen war freundlich und ergab, dass das nächste Dorf weit weg, circa 15 Kilometer von hier sei, und es sah auch nicht so aus, als wäre es einfach, Fortbewegungsmittel von hier zu finden. Der Grenzbeamte half uns aber, in dem er Motos mit dem Handy rief, während Serge versuchte, seinen Cousin Virgil mit dem Handy zu erreichen, um ihn zu bitten, uns möglicherweise an der großen Straße abzuholen.

Auch wenn es hier möglicherweise nicht so klingt: Das ganze war ziemlich nervenaufreibend. Wir nahmen es zwar erstaunlich locker, wie ich im Nachhinein finde, aber wir befanden uns wirklich im absoluten Niemandsland, waren ziemlich fertig von diesem Reisetag und wussten nicht so richtig, was die nahe Zukunft bringen würde.

Auf jeden Fall standen in kürzester Zeit zwei Motofahrer vor, ungefähr zur gleichen Zeit kam Serge vom Telefonieren zurück und ließ uns durchatmen: Virgil würde uns an der Hauptstraße im Ort Tandjauré mit dem Auto abholen. Wozu war er Magistrat und fuhr einen BMW?

Die Motofahrer hatten wohl erkannt, dass die Yovos sich in einer misslichen Lage befanden, aus der nur sie ihnen jetzt heraushelfen konnten. Deswegen schlugen sie uns einen fetten Preis vor, umgerechnet 30 Euro für uns drei bis in den Ort an der Hauptstraße. Das ist für hiesige Verhältnisse absoluter Wucher. Aber uns blieb nicht viel anderes übrig, als unser Bestes zu geben, mit ihnen ein bisschen zu verhandeln und dann das Angebot anzunehmen. Auf 50 Cedis gingen sie noch herunter.

Und schwupps saßen wir auf den Motos, ich mit meinem großen Rucksack auf dem einen und Serge mit Merle auf dem anderen. Unsere Fahrer schienen es völlig eilig zu haben und rasten, wie ich es in meinen elf Monaten Togo noch nicht erlebt hatte. Der Weg war alles andere als in gutem Zustand, aber mein Fahrer bretterte mit irrer Geschwindigkeit über die Unebenheiten hinweg, als wären wir auf einer Rennstrecke. Ich bekam es, ganz ehrlich, ein wenig mit der Angst zu tun, da ich ja auch noch das Gewicht meines Rucksacks zu halten hatte.

Die Fahrt dauerte zunächst nicht lange, nach nicht mehr als fünf Minuten hielten wir an und wurden von einem lässig auf einer Bank neben dem Weg lümmelnden Offizier in Zivil angewiesen, unsere Rucksäcke aufzumachen und ihm den Inhalt zu zeigen. Wir taten wie geheißen, und der Offizier nahm sich alle Zeit, die er hatte, um alle möglichen Dinge genau zu untersuchen. Die ganze Vorstellung bewegte sich an der Grenze zur Lächerlichkeit. Er nahm meine Kosmetikartikel aus einer Tüte und drehte einige auf, um an ihnen zu schnuppern. Ich musste an mich halten, um nicht los zu prusten. Glücklicherweise hatte er dann, als Serge und Merle an der Reihe waren, offenbar die Lust verloren, weshalb wir bald unsere Rucksäcke wieder schließen konnten. Doch damit nicht genug, jetzt wollte der propere Offizier auch noch 5000 CFA von Merle und mir haben, damit wir weiter durften. Hier half uns Serge, der erklärte, dass wir schon seit beinah einem Jahr für das Land in verschiedenen Bereichen gearbeitet haben und Volontäre mit wenig Geld seien. Ich war wirklich überrascht, als ich erkannte, dass die Masche funktionierte. Wir durften weiter, aber erstmal zu den „Douaniers“ – des Grenzbeamten. Die fragten uns aber nur ein paar Dinge, woher, wohin, Nationalität, und dann Au revoir und bonne route, rauf aufs Moto und ab dafür. Und wie! Die Fahrer kannten kein Halten. Die düsten wirklich wie die Teufel, es war unfassbar. Ich war mir in diesen Augenblicken eigentlich sicher, irgendwann vom Motorrad fallen zu müssen. Dann begann es zu regnen, letztendlich hatte uns das schon seit einer halben Stunde aus dem Norden hinüber grollende Unwetter erreicht und dicke Tropfen prasselten in schweren Fäden auf uns hinab. Die Augen offenzuhalten fiel mir nun ziemlich schwer und ich fragte ich ernsthaft, ob mein Fahrer denn noch recht bei Sinnen sei, unter diesen Umständen ohne irgendeinen Augenschutz keinen km/h langsamer über die nun immerhin nicht mehr staubende Steppe zu rasen.

Das Unglaubliche geschah und nach einer durchaus bewegenden Stunde auf dem Moto erreichten wir komplett durchnässt, aber glücklich Tandjauré, wo wir uns unter der Markise eines Miniladens unterstellen und die Fahrer bezahlen konnten. Die machten sofort kehrt, um in wahrscheinlich noch höllischerem Tempo den gleichen Weg zurück zu „fahren“.

Hier, an dem kleinen Lädchen, wurden wir ein weiteres Mal Zeuge der grundlegenden, von Herzen kommenden Freundlichkeit der Afrikaner, der Togolesen in diesem Fall. Denn, ja, wir waren ja auf einmal wieder in Togo! Irgendwie ließ uns das durchatmen. Es hatte was von nach Hause kommen. Ein älterer Mann machte Platz für mich auf der Bank, auf der er saß, und begann erstmal in gebrochenem Englisch mit mir zu sprechen. Ich erklärte, dass wir ruhig französisch sprechen könnten, und von da an lief unsere Unterhaltung. Wir waren einfach dort angekommen und absolute Fremde, aber die Leute nahmen uns auf, schützten unsere Sachen und brachten kleine Opfer, damit es uns gut ging. Das war rührend, wir waren trotz Nässe, Kälte, Geldverlust, Müdigkeit bei bester Stimmung. Wir hatten noch einen Rest Brot und kauften dazu für hundert Francs das eben hier verkaufte Rindfleisch in wässriger Soße. Eigentlich eine Fufu-Soße. Mit dem älteren Mann und dem Besitzer des Ladens unterhielt ich mich ungefähr zwanzig Minuten sehr intensiv. Über unsere Reise, über Unterschiede zwischen Togo und Ghana. Immer wieder, wenn ich dieses Thema mit jemandem diskutiere, kommen wir auf das gleiche, die Wahrheit, heraus: Ghana ist das entwickeltere, ökonomisch weitere Land. Der Staat gibt sehr viel für die Entwicklung des Schulsystems und für den Ausbau der Infrastruktur und des Verkehrsnetzes aus. Und diese Dinge haben wir gesehen. Die Straßen sind größtenteils in verhältnismäßig tollem Zustand, die Upper East Region in ihren finstersten Ecken mal ausgenommen. Die Stromversorgung ist fast überall gegeben, die hintersten Ecken der Upper East Region mal ausgeschlossen. Und, wenn wir mal über Ghana außerhalb der letzten Abschnitte der Upper East Region sprechen, die Schulen sind im Vergleich zu den togolesischen fabelhaft, das schließen wir allein aus dem Fakt, dass wir bei Hans und Christopher eine von außen her fantastische Schule mit allem Drum & Dran gesehen haben, die Kaleo Senior High Technical School, wo unsere beiden Freunde arbeiten, die von den beiden aber als schlechteste Schule eingeschätzt wird, die sie in Ghana gesehen haben. Naja. Da haben sie die Schule von Buckpruhungutugu noch nicht kennen gelernt.

Nach einem wärmenden Togodin mit den freundlichen Leuten in der kleinen Boutique hörten wir die BMW-Hupe von Serges Cousin Virgil ertönen, das Signal, uns zu verabschieden, unser Gepäck hinten ins Auto zu werfen und uns ins Trockene zu setzen. Das tat gut. Am Steuer saß ein Freund Virgil, er selbst saß auf dem Beifahrersitz. Nachdem wir uns begrüßt hatten, fuhren wir los, gen Norden.

Die Strecke bis zur nördlichsten größeren Stadt Togos, Dapaong ist von Tandjauré aus nicht weiter als 20 Kilometer, dennoch brauchten wir aufgrund der recht kaputten Straße ungefähr 40 Minuten bis zu Virgils Haus. Wir waren also wieder im Osten gelandet.

Dieser Eindruck allerdings war wie weggeblasen, als wir das Haus unseres Freundes betraten, wo uns die Haushälterin, Virgils Frau und ihre Kinder Benedito und Reneauld begrüßten. Das Haus stand auf einem großzügigen Grundstück, bestand nur aus de Erdgeschoss, war aber modern eingerichtet. Innen brannte warmes Licht, eine schöne Abwechslung zu all den Neonröhren, die in Togo die Häuser erleuchten, wenn es Strom gibt. Die erste Amtshandlung war Duschen. Das tat uns allen gut, alternierend unterhielten wir uns mit Virgils Frau, während uns die Haushälterin mit Gläsern und Wasserflaschen (!) bediente, und duschten. Virgil, der vorher ausgestiegen und zu einem wichtigen Treffen gegangen war, kam dann wieder und als wir alle geduscht im Salon saßen, servierte er uns, wir wurden nicht mehr, Wein aus der Flasche in Weingläsern. Das war gewissermaßen ein ziemlicher Gegensatz zu dem bis vor anderthalb Stunden Erlebten, aber ich denke, wir alle genossen diese Gastfreundschaft. Und zu übersehen war auch nicht, dass es Virgil in seiner Funktion als höchste Justizinstanz der Region finanziell nicht schlecht ging.

Zum Abendbrot gab es, ganz togolesisch, la Pâte mit Spinatsoße. Wir lernten den Brauch kennen, dass Gäste, zu denen man als Gastgeber ein enges Verhältnis hat (ist ja bei Serge und Virgil der Fall), allein am Tisch essen, während die Gastgeber sich ein wenig zurückziehen. Wäre es anders, das heißt, stünde man sich nicht so nahe, würde man gemeinsam essen.

Nach dem Essen und ein paar Minuten des Schwatzens ging es ins Bett, das hatten wir nötig.

 

Frühstück bei Virgil, Dapaong-Tour und Marktbesuch, nachmittagliches Ausruhen und abends Jenkoumé und Barbesuch in Dapaong

Wir standen gegen neun Uhr auf. Oder besser, ich stand gegen neun Uhr auf, Merle und Serge waren schon wach und holten mich zu dieser Zeit zum Frühstück. Das Frühstück war ein weiterer Glanzpunkt in diesem Dapaong-Aufenthalt. Es gab doch tatsächlich Haferflocken! Dazu ein riesiges Omelette, da gab es ordentlich zu tun für die beiden Eieresser unter uns.

Relativ direkt im Anschluss, wir beobachteten nur noch ein paar Minuten die Kids, die gebannt japanische Zeichentrickserien schauten, ging es mit dem Auto in die Stadt. Erste Station: Postfiliale, Tickets für den Postbus in Richtung Lomé für morgen früh kaufen, wir wollten schon morgen nach Anoum fahren. Dort wurden wir gleich enttäuscht: alle Tickets ausverkauft bis Dienstag. Mist! Jetzt würden wir mit den Ruckel-Zuckel-Kleinbussen über die wahrscheinlich schlechten Straßen gen Süden fahren müssen.

Nächster Halt war die Bank, ich musste Geld abheben. Das ging reibungslos, nur fragte ich mich langsam, wie viel diese Reise eigentlich noch kosten würde.

Dann kamen wir dort an, wo wir eigentlich hinwollten: auf dem Markt von Dapaong. Es war ein mittelgroßer Markt. Es wurden im Grunde dieselben waren angeboten wie auf allen anderen klassischen Märkten in Togo. Kleiner Unterschied: Im Norden leben die Milch-Spezialisten des Landes, deswegen fanden wir hier großen Mengen Vongâche und auch Joghurt gab es. Der schmeckte hervorragend! Kurz vor Schluss unseres Marktbesuchs kauften wir noch zwei Hühner für verhältnismäßig viel Geld, die wir als kleine Gegenleistung für unseren Aufenthalt bei Virgil zum Abendessen spendieren wollten.

Letzte Station unserer kleinen Dapaong-Tour war dann der höchste Punkt der Stadt, den wir ebenfalls ganz entspannt mit dem Auto erreichten. Dort befanden sich zwei große Wassertürme, die Grundwasser speichern und dieses über ein großes Rohr, das hier sehr gut sichtbar ist, in die Haushalte mit fließendem Wasser pumpen, zum Beispiel  in jenen Virgils. Einige wenige Häuser befinden sich hier oben, direkt neben einigen spärlichen Maisfeldern, die hier überraschenderweise wachsen, zwischen all dem garstigen Gestein und Geröll. Hier befanden wir uns nämlich schon in so einer Art Gebirge, von diesem Hochpunkt aus konnte man sehr schön auf die Stadt hinunter blicken und in der näheren und weiteren Ferne Berge erkennen. Eine schöne Landschaft, die schroffen Felsen überall getränkt in tiefes Grün von der Regenzeit.

Wieder bei Virgil angekommen, hatte seine Frau schon gekocht und wir aßen, erneut nur zu dritt am Tisch, Reis mit Hühnchensoße. War lecker. Dann legten Merle und Serge sich nach draußen auf die Terrasse, während ich ein wenig schrieb.

Der Nachmittag verging aus irgendeinem Grund schnell und gegen 19 Uhr gab es dann unsere beiden Hühnchen mit Jenkoumé, zubereitet von der Haushälterin und Virgils Frau. Dazu gab es wieder Wein, roten Domaine du moulin, diesmal aßen wir alle gemeinsam.

Den Abend verbrachten wir dann bis circa 21.30 Uhr in einer Bar im Rande Dapaongs, wo es dunkel und ruhig war. Wir unterhielten uns über so dies und das, vor allem aber über die Marktchancen DER Pomade schlechthin gegen Mückenstiche und auch sonst alles was zwickt, Victago, in Deutschland. Eine kleine Dose kostet hier 100 Francs, etwa 15 Cent, verkaufen könnte man sie in Deutschland bestimmt für 50 Cent. Har har har!

(Ich möchte die Gelegenheit nutzen, und mich bei Christopher für seinen unter anderem kommerziellen (positiven) Einfluss zu bedanken)

Am Abend als wir zurückkehrten vielen Merle und Serge nur noch ins Bett, während ich noch mit Virgil im Salon sitzen blieb und ein wenig Fernsehen schaute. Nebenbei unterhielten wir uns auch, nette Angelegenheit, bevor ich dann auch ins Bett ging – morgen gegen fünf mussten wir schon wieder auf der Matte stehen, um mit dem Ruckel-Zuckel-Bus Richtung Sokodé und dann weiter Richtung Atakpamé und Anoum zu fahren.

 

Früh Morgens Aufstehen und Busfahrt nach Sokodé innerhalb von sechs Stunden, Umsteigen in Kleinbus nachAtakpamé – weitere fünf Stunden, dann Umsteigen in Kleinbus Richtung Kpalimé, Ankunft in Anoum: 19 Uhr

Dieser Tag war nichts als eine endlose, mal ruckelnde und mal sausende, in jedem Fall aber nicht sehr gemütliche Reise. Dabei hatten wir eigentlich Glück, was den ersten Bus innerhalb der ersten vier Stunden betrifft: nur neun, zehn Leute saßen drinnen, da hätte locker das Doppelte reingepasst, Merle konnte sich sogar hinlegen.

Als es dann mehr und mehr Leute wurden, war es mit der halben Entspannung freilich vorbei, das Umsteigen in Sokodé musste auf einmal sehr schnell passieren, gerade so konnte ich mich vor dem Verhungern retten, indem ich im Vorbeirennen ein Brot kaufte und dann zuckelten wir weiter, diesmal die gesamte Zeit schön aneinander gequetscht, bis nach Atakpamé. Zum Glück gab es die Müdigkeit, die uns die Reisezeit gefühlt ein wenig verkürzte.

In Atakpamé kauften wir ein Eis, das war sehr erfrischend, ehe wir dann etwa anderthalb Stunden über die abenteuerliche Straße in Richtung Süden fuhren. Als wir unserem ersten Einsatzdorf näher und näher kamen, begann es ein wenig in mir zu kribbeln und ich erinnerte mich aus irgendeinem Grund ganz an den Anfang unseres Freiwilligenjahres. Auf einmal, gerade waren wir an dem uns bestens bekannten Ortseingangsschild Anoums vorbei gefahren, standen wir wieder dort, wo wir vor knapp einem halben Jahr zuletzt mit meinen Eltern gewesen waren. Sofort kamen die Kinder auf uns zugerannt riefen zunächst „Yovo, Yovo“ und dann unsere Namen, als sie uns erkannt hatten. Das war ein schöner Moment, auf einmal waren all diese Bekannten Gesichter wieder da, viele etwas weiter oben als noch vor fünfeinhalb Monaten. Und wieder empfand ich dieses eigenartige, leichte Gefühl von der Heimkehr, nicht sehr stark, aber unverkennbar. Hier waren wir zu allererst, Anoum hat uns Afrika und seine Menschen und deren Leben gezeigt. Dieses Dorf ist für immer in unseren Köpfen und Herzen.

Viel geschah nicht mehr. Wir rackerten uns etwa eine Stunde mit den Kindern ab und empfanden das glückselige Gefühl des Wiedersehens, am schönsten war es, wenn die Kinder unsere Namen sagten. Es kamen immer mehr hinzu, erst neugierig-vorsichtig, und dann in Lächeln ausbrechend, auf uns zulaufend – genau das der Moment, in dem sie uns wiedererkannten. Alle wollten von uns hochgenommen werden, auch jene, die dafür eigentlich schon zu groß waren, und umstanden uns in dicken, lärmenden Trauben.

Nur mühsam konnten wir uns befreien und bauten unsere Schlafstätten auf. Verwunderlich: Heute, zur letzten Nacht unserer Reise vor unserer Rückkehr nach Lomé, war es zum ersten Mal nötig, dass wir unser Moskitonetz aufbauen.

Wir mussten leider feststellen, dass einige Personen, auf die wir uns besonders gefreut hatten, gegenwärtig nicht im Dorf waren. Dazu zählten die kleine Abiguelle, die Rebellin unter den Kindern und unser Liebling, außerdem Togbé vi, der „kleine Alte“, der wirklich jeden Tag unseres Aufenthaltes in Anoum bei uns gewesen ist, und diee „Femme Costeau“, die „stämmige Frau“, die uns jeden Morgen Gaou, frittierte Bohnenmehl-Bällchen, machte. Dafür aber konnten wir Papa Exossé begrüßen, oder vielmehr er uns, und auch Papa Davide, mit dem wir immer viel zu tun hatten, war bei uns und brachte uns sogar ein wenig Gaou zum Abendbrot. Merle ging bald ins Bett, vor allem, weil sie neben ihrer Müdigkeit auch noch unter Rückenschmerzen und Fieber litt. Das musste von der Reise kommen, da es ihr sonst die ganze Zeit gut gegangen war. Auch ich folgte nicht viel später ihrem Beispiel.

 

Besuch des Marktes in Adeta, Rückkehr nach Lomé

Unser Gastspiel in Anoum fiel denkbar kurz aus. Ich frage mich immer noch, ob das gut war oder eher schlecht. Ich tendiere fast zu Ersterem, da wir so zwar die meisten noch einmal sehen konnten, uns allerdings nicht wieder an das Leben mit dem Anoumu to ou – dem Anoum-Volk – gewöhnten. Wir standen also jeder zu unserer Zeit auf, ausnahmsweise war das bei Merle und mir mal in etwa gleichzeitig. Dann frühstückten wir, was gestern von Brot und Dapaong-Vongâche noch übrig geblieben war und machten den Plan für den Tag. Wir einigten uns recht schnell darauf, noch den Markt in Adeta zu besuchen, da Serge noch einige Besorgungen zu machen hatte und auch wir gern ein letztes Mal jenen Markt sehen wollten, den wir in unseren ersten vier Togo-Monaten wöchentlich besucht hatten. Die Folge war jedoch, dass wir uns mit unserer Tour durchs Dorf, bei der wir zur selben Zeit Hallo und Tschüss sagen wollten, ein wenig beeilen mussten, um früh genug loszukommen.

Viele Leute gab es ncihit zu besuchen, denn auch der Chef war nicht anwesend, und Papa Exossé sowie Papa Davide hatten wir ja schon viel um uns gehabt. Zudem erfuhren wir, dass sich die Dorfältesten gerade bei einem von ihnen versammelt hatten, also richteten wir uns einfach dorthin. Nach einigen Momenten erhielten wir die Erlaubnis einzutreten, und dort sahen wir dann auf einmal Leute, die wir noch nie gesehen hatten. Aber das tat wenig zu Sache, wir gingen ein letztes Mal zur traditionellen Begrüßung in Anoum über. Zunächst war es an uns, den sitzenden Alten die Hand zu schütteln, ehe wir die traditionellen Phrasen „Nde“ – „Nde“, „A humme to“ – „Ullé“, „devio“ – „o fo“, „ni sobbedo“ – „doniso“ „mi a wézon lo“ – „lo“ sprachen. Dann waren die Alten dran, uns die Hand zu schütteln. Erinnerungen kamen hoch.

Zunächst sprachen die Verantwortlichen des Dorfes einige Worte, die Serge dann erwiderte und uns anschließend übersetzte. Es ging um „den guten Wind“, „le bon vent“ der uns hier her gebracht hat. Wir berichteten von unserer Abreise in einigen Tagen und dass wir nicht abreisen konnten, ohne unserem ersten Dorf, unseren Afrika-Lehrmeister, Au revoir zu sagen. Danach sprachen wir ein wenig über das Elektrizitätsprojekt. In einem Gespräch mit Sam und Edih hatten die Dorfältesten bei deren letztem Besuch entschieden, das von meinen Eltern und Freunden gesammelte Geld nicht sofort in einen Elektrogenerator zu investieren, sondern es zunächst auf ein Konto zu legen und zu hoffen, dass es neue Spenden geben wird, um eines Tages „Strom von der Leitung“ ins Dorf zu holen. Dafür gibt es schon Pläne der JSA. Wir versicherten uns hiermit noch einmal dieser Entscheidung und hörten sie noch einmal selbst aus den Mündern unserer Freunde in Anoum. Nun wissen wir, was zu tun ist.

Dies waren die letzten Wehen, wenn man so sagen kann. Wir verabschiedeten uns hier uns jetzt von den Anwesenden in dem Wissen, sie entweder in langer Zeit oder nie mehr wieder zu sehen. Richtig bewusst war uns das aber wahrscheinlich nicht.

Im Anschluss setzten wir uns noch einmal kurz bei Papa Exossé nieder, dessen Haus auf dem Weg lag. Zweck dieser kurzen Zusammenkunft war, dass ich ihm noch das Fernglas schenken wollte, das ein Freund mir als Spende mitgegeben hatte, als ich im Januar zum zweiten Mal Deutschland in Richtung Togo verließ. Er freute sich sehr darüber. Ich hatte es ihm angedacht, da er Jäger ist, und letztlich sogar zwei Buschkühe erlegte. Mit einer Bodenfalle, wohlgemerkt, aber das Fernglas wird ihm beim Beobachten des Tierverhaltens dennoch weiterhelfen, denke ich.

Dann ging alles ganz schnell. Wir bauten in hoher Geschwindigkeit unserer Lager ab und packten unsere Rucksäcke. Auf einmal standen wir an der Straße, ein Moto hatte schon angehalten, und ich sollte aufsteigen. Ich verabschiedete so viele Menschen, wie ich konnte, und wurde dann auf dem Motorradsattel davon gerissen. Es war kein melancholisches Gefühl, irgendwie fühlte ich mich nicht weniger frei als vorher, als ich so über diese bekannten Straßen raste und noch einigen Bekannten in Tsavie, dem Nachbarort, winkte.

Als ich in Adeta ankam, erkannte mich sofort der Schneider wieder, bei dem wir in unserer Anoumer Zeit unsere Sachen hatten machen lassen. Er freute sich ehrlich über das Wiedersehen und bot mir von alleine an, dass wir unsere Sachen bei ihm verstauen könnten. Als Merle wenig später auf dem Moto heran rauschte, machte ich ihr sofort ein Zeichen, sie könne hier anhalten. Also ließen wir alle, Serge, Momo, Merle und ich unsre Dinge hier und gingen dann mit den guten Wünschen des Schneiders auf den Markt. Dort schlenderten wir eine Weile herum, kauften Bananen und anderes, ehe ich mich absetzte, um Vongâche zu kaufen. Ich hatte gedacht, dass ich das ewige „Was hast du mir mitgebracht“-Fragen bei Edih zu Hause mit einem schönen Vongâche besänftigen würde. Der Käse war schnell gefunden und auch deutlich billiger, als an anderen Orten.

Als wir uns wieder gefunden hatten, aßen wir zusammen in einer kleinen Fufu-Bar – ich Kom, die anderen Fufu. Merle ging es nicht so gut, weswegen sie nur Ananas aß.

Beim Schneider holten wir uns unsere Sachen zurück und verabschiedeten uns von dem im Grunde netten Mann, der mich damals sicherlich nicht all zu sehr über den Tisch gezogen hatte. Auch von Momo mussten wir jetzt Abschied nehmen, aber dieser versicherte, vor dem zehnten noch in Lomé einzutreffen, weswegen es also noch keine Endgültigkeit war.

Wir hatten das Glück, ein kleines, recht preiswertes Auto nach Lomé gefunden zu haben, mit dem wir nur aufgrund der permanenten Stopps, die der Chauffeur für Einkäufe oder Familienbesuche nutzte, länger als dreieinhalb Stunden bis in die Hauptstadt brauchten.

Merle wollte nur nach Hause, also tat sie das mit Serge. Ich verabschiedete mich für heute und machte mich auf zu Edih. Der saß vor seinem Zimmer und las einen kleinen Zettel – lernen für die Prüfungen, die morgen beginnen würden. Wir unterhielten uns eine Weile, ehe ich mich entschloss, ihm einen Glückscent für seine Prüfungen zu geben, der würde ihm Glück bringen.

Heute Abend erfuhr ich durch ein Telefonat Edihs mit den eigentlich für diese Nacht geplanten Freiwilligen, das ich mithörte, dass diese ihr Flugzeug nicht hatten nehmen können, da es von Air maroque überbucht war. So müssten sie das nächste Flugzeug abwarten, unsicher, wann das sein wird.

 

Reiseplan

24. Juli 2011: Reise von Lomé über die Grenzstadt Aflao nach Accra, ghanaische Hauptstadt; Reise mit modernem Reisebus hoch in den Norden Richtung Wa

25. Juli 2011: am frühen Morgen Ankunft in Wa, sofort abgeholt von den zuverlässigen Cu und Hans, schönes Wiedersehen, magen-därmisches-Kinetikum kurz positiv gestoppt; Reise in das größere Dorf Kaleo, Arbeitsstation unserer beiden Freunde

26. und 27. juli 2011: Zeit verbringen in Kaleo und Umgebung mit Hans und Christopher, deutsches Kochen (Buletten – wie geil ist das denn?) und Kaleo-Führung; Abreise nach Wa

28. Juli 2011: Verabschiedung von Christopher in tiefer Nacht nach tiefgehendem Gespräch neben tiefkauendem Hans, Reise nach Larabanga, National-Park-Dorf. Besuch des Mole National Parccs,  und unglaubliche Erfahrung, Übernachtung im Guest House der Salia Brothers

29. Juli 2011: Reise in überfülltem Bus auf krassen Straßen mit noch krasserer Geschwindigkeit von vier Uhr morgens bis 7 Uhr, Ankunft in Tamale. In klapprigem Benz bis Bunkpurugu (oder so ähnlöich,ldie Ghanaer wissen’s selber nicht!) und zäher Grenzübergang und noch zäherer Weg bis z rettenden Hauptstraße in Togo – Fahrt nach Dapaong zu Freund Virgil

30. Juli 2011: Tag verbringen in Dapaong, Stadt-Tour und Marktbesuch

31. Juli 2011: Reise von Dapaong nach Anoum mit zwei Zwischenstationen: zusammengequetschte 12 Stunden, Übernachtung in Anoum, unserem ersten Dorf

01. August 2011: Besuch des Marktes in Adeta, Reise zurück nach Lomé

Bericht Juni

 Djékotoé, 16. Juli 2011

Wenn man sich entscheidet, ein Jahr im Ausland zu verbringen und wenn man dann auf einmal wirklich dort ist und realisiert, dass man hier nun ein ganzes Jahr zu absolvieren haben würde, kommt einem dieser Zeitraum unheimlich lang vor. Beinah so, als würde er nie zu Ende gehen. Doch dann, zehn Monate sind herum, dreht man sich um und schaut fassungslos zurück über diese Strecke der Zeit bis zum Anfang des Jahres und denkt: Mann, ist das schnell gegangen.

Für die „Gars“ – französisch für Jungs – Charles und Loic gilt das Gleiche, nur mit dem Unterschied, dass es sich bei ihnen nicht um ein Jahr, sondern um zwei Monate handelt. Handelte, muss man bereits sagen, denn die beiden weilen schon seit Ende Juni nicht mehr unter uns Togolesen. Vor allem auch an ihrer Zeit hier in Togo gemessen fiel uns einmal mehr auf, in welchem enormen Tempo die Zeit unseren Togoaufenthalt zu schlucken scheint: Als Loic und Charles gerade einen Monat da waren, kam es uns noch so vor, als wären sie gerade angekommen, und als wir sie um vier Uhr morgens am 24. Juni 2011 in den Flughafen verabschiedeten, konnten wir kaum glauben, dass seit ihrer Ankunft zwei Monate vergangen waren und auch uns nur noch sieben Wochen bleiben würden, bis wir zum selben Zweck am selben Ort stehen würden.

Oder, wenn wir schon einmal dabei sind, denken wir einmal in größeren Dimensionen: Ist es zu fassen, dass unser – Merles und meines – Abitur schon ein Jahr her ist?

Wie so oft sollte man hier wohl einen weisen Rat befolgen und statt Quantität Qualität beurteilen. In diesen zwei Monaten, Mai und Juni, verbrachten wir den längsten zusammenhängenden Zeitraum in Djékotoé, nämlich knapp fünf Wochen. Ich Vergleich zu unserer Zeit in Anoum, unserem ersten Dorf, blieben wir seit der Jahreswende meist nur eine bis drei Wochen auf dem Dorf und machten uns dann schon wieder nach Lomé auf. Das hatte mit Geburtstagen, Visaverlängerungen und der generellen Anziehungskraft der togolesischen Hauptstadt zu tun. In Djékotoé aber sind schließlich das Heim unserer Arbeit und auch unser festes Domizil in diesem halben Jahr, das wir hier verbringen, wessen wir also nun einmal gerecht wurden.

Für die Jungs hieß diese Etappe, ihre Arbeit auf dem Bau fertigzustellen. Dies gelang ihnen spielerisch, theoretisch hätten sie am Ende sogar noch eine Woche mehr Zeit gehabt, doch zum Weiterarbeiten fehlten der Organisation die finanziellen Mittel. Der Rohbau des neuen Klassenzimmers ist in dieser Zeit fertiggeworden, Dach und die Zementierung des Bodens fehlten noch. Vor allem Metall und Zement, generell Baumaterialien sind Dinge, die in Togo sehr teuer sind. Gleichwenn „CIM-Togo“ sich offenbar in Relation mit dem deutschen Zementhersteller „Heidelberg Zement“ befindet, konnten wir hier keinen projektfördernden Rabatt erreichen. Aus diesem Grund sah das Endprodukt so aus: neuer Klassenraum neben den beiden bereits intakten Zimmern ohne Dach und nur mit einem Boden aus bloßer Erde. Die letzte Woche war für das Heranschaffen der Erde und der Füllung des Bodens mit selbiger ins Land gegangen.

Merle, Serge und ich waren mal hier und mal da. Das bedeutet, dass wir einen Großteil der Zeit mit unseren Kleinen verbrachten, wobei wir im Detail Fortschritte machten, aber im Großen und Ganzen einen Rückgang der Schüleranzahl zu beklagen hatten. Erst zum Ende unserer Arbeit in diesem Monat hin wurden es wieder mehr und unsere Leistungsträger meldeten sich, mit einer Ausnahme, wieder zurück zum Unterricht. Den Rest, insgesamt etwa neun Arbeitstage, halfen wir auf dem Chantier, Mauern hochzuziehen und Sand für den Boden zu schleppen.

Die Arbeit war in diesem Monat dabei nicht das einzige, das hin und wieder aufgrund des Regens unterbrochen werden musste. Vor allem im Juni machte der Niederschlag dem Namen der Regenzeit alle Ehre und prasselte durchschnittlich aller zwei, drei Tage auf uns nieder. Möglicherweise fragen sich jetzt einige im heimatlichen Deutschland: Regenzeit, heißt das nicht monatelang Regen mit nur wenigen Pausen zwischendurch? Ganz so heftig kommt es hier in Togo nicht, dafür fehlen uns noch einige Grad Nähe zum Äquator, doch wir merken einen sehr deutlichen Unterschied zwischen Trocken- und Regenzeit, vor allem auch an der Luftfeuchtigkeit. Wenn es einen richtigen Guss gibt, der eine ganze Nacht oder einen halben Tag dauert (es regnet meistens nachts), wird es schwierig, im Dorf den Standort zu wechseln. Die Erde ist dann derart durchweicht, dass das Ändern der Fortbewegungsrichtung ein Fallrisiko wird und einem gerne mal sein Schuh im Schlamm verloren geht. Ähnliches gilt übrigens auch für Lomé, wo die Wirkung des Regens jedoch ein anders Ausmaß erreicht: Viele der ungeteerten Straßen werden zu kaum befahrbaren Matschpisten, an vielen Stellen sammelt sich Wasser zu kleinen Seen mitten auf der Straße und Innenhöfe werden überschwemmt. Bei Edih, wo die Gars und ich immer logierten, wenn wir in Lomé waren, war dies sehr oft der Fall. Im Dorf kommt das Problem hinzu, dass einige ältere Häuser mit Schilfdach dem Dauerregen nicht standhalten können und unter der Macht des Wassers einfach nachgeben. So kommt es vor, dass wir morgens auf dem Weg zur Schule auf einmal feststellen, dass ein Haus eingerissen ist, welches am Vortag noch vollkommen stabil gewirkt hatte.

Neben unserer Vormittagsarbeit kam auch ein Projekt voran, dass ich innerlich schon ein wenig verloren geglaubt hatte: Das Fußballtraining mit den Kindern. An dieser Stelle möchte ich meinen Großeltern mütterlicherseits, Margit und Harry Kügler, sehr herzlichen Dank aussprechen, da sie eine großzügige Summe zum Kauf von Fußbällen für das Dorf bereitgestellt haben. Doch nicht nur die Tatsache, dass nun das Ballproblem gelöst war, ließ das Fußballprojekt wieder aufleben. Ich hatte mich eines Tages einmal mit Foto, unserem Gastgeber zusammengesetzt, und wir hatten ausgeheckt, die Kinder mittels seiner Autorität anzulocken und dann Training nach meinen Vorstellungen zu machen. Nicht nur das: Nachdem die Jungs den Rasen stückweise mit Macheten geschnitten hatten, veranstalteten wir jetzt nachmittags Kleinfeldturniere, bei deinen kleine Preise gewonnen werden. Unsere Idee funktioniert sehr gut, die Beteiligung ist stark gestiegen. Nun hoffe ich sehr, dass Foto dieses Projekt weiterführen wird, wenn wir nicht mehr in Djékotoé sein werden.

Die nötigen Stückchen „Bien-être“ holten wir uns, wie immer in unseren Dorfwochen, beim freitaglichen Ausflug in die Kleinstadt Vogan. Hier geht es zunächst ins Internet und dann auf den Markt, die wichtigsten Dinge zum Leben und unser Mittag besorgen. Seit ein paar Monaten ist es unser Brauch, freitags Fleisch vom Grill und Togo-Baguette zu kaufen. Dieses Baguette nennen wir so, da es nur hier in dieser Gegend gebacken wird und darüber hinaus nicht wirklich viel mit Baguette, dafür aber mehr mit Ciabatta zu tun hat. Anschließend setzen wir uns in unsere Stamm-Bar und genießen ein kühles Getränk. Es ist verrückt und gleichzeitig logisch: Sind wir in Lomé, haben wir kaum das Bedürfnis nach einer kühlen Limo, obwohl es sie im Überfluss gibt; befinden wir uns aber im Dorf, wo wir keine Möglichkeit auf kalte Getränke haben, lechzen wir förmlich nach ihnen.

Anfang des letzten Drittels diesen Monats entdeckte ich dann das Loméer Nachtlaufen. Was nach einem Nachtmarathon nach europäischem Vorbild klingt, ist nichts weiter als das Joggen by night über die beleuchteten Straßen Lomés. Der kapitale Vorteil dieser Jogging-Variante ist die geringe Temperatur von ungefähr 24° durchschnittlich ab 21 Uhr. Auf die Idee kam ich durch das Zeitfenster von drei Stunden, das am 24en des Monats nach dem Besuch der Bar „Kilimandjaro“ und der Abfahrt der Dorf wäre daran hingegen nicht zu denken.

Dann, zum Schluss des Junis, verbrachte ich doch noch über eine Woche in Lomé, zwecks meiner Studienbewerbungen. Bei diesem zukunftsorientierten Thema und der Abreise der Jungs im Hinterkopf war es schwer, keinen Gedanken an die nun langsam gegenständlich werdende Heimreise und den bevorstehenden Abschied zu verschwenden. Von nun an, dachte ich, ist es zeitlich greifbar, realisieren werden wir die Bedeutung der herannahenden Ereignisse jedoch erst um einiges später. Mit dieser Erkenntnis beginnt man, stärker zu reflektieren und Momente, Eindrücke und Afrika-Typisches absichtlich noch intensiver wahrzunehmen und zu genießen, was das Zeug hält. Gleichzeitig bekommt man aber auch das Gefühl, dass das Ende dieses Abenteuers naht, und selbst wenn man es sich manchmal herbeigewünscht hatte, nur um seine Freunde, Familie, Heimat zu sehen, nur um einmal Omas Beafsteak mit Kartoffeln, Omis Speckbohnen oder Muttis Chili zu essen – je näher der Abschied rückt, desto stärker fühlt man auch den leise bitter aufsteigenden Beigeschmack, diese „Zweitfamilie“, unsere Freunde hier und das Land an sich als unsere neue Heimat hinter sich lassen zu müssen.

Wir realisieren meist erst ganz zum Schluss einen Erlebnisses dessen Wert und Bedeutung, oft auch erst, wenn es bereits einige Zeit zurückliegt. Wie bedauerlich ist das wirklich? Hätte man noch mehr davon gehabt, würde man diese Erkenntnisse gleich von Beginn an erlangen? Oder ist es nicht eigentlich sogar gut, dass man im Laufe eines Projekts, einer Reise, eines Moments sich in vielen Fällen deren Effekte gar nicht bewusst ist, um sich in seinem Denken auf den Moment zu beschränken? Ich denke schon. Ich denke, das lohnt sich.

Mittwoch, 20. Juli 2011

Mit einem Ruck ziehe ich die Tür zu. Eine Tür, die nicht nur das Auto, sondern auch Djékotoé für uns drei schließt. Dann drehe ich meinen Kopf zur Seite nach rechts, wo die Kinder unseres Hofes stehen, aufgestanden um fünf Uhr morgens um uns zu verabschieden, und ich blicke in mild lächelnde, freundliche Gesichter voller Wonne und Reinheit. In diesem Moment überkommt es mich, das, wovon ich einen Augenblick zuvor noch geglaubt hatte, es relativ problemlos zurückhalten zu können. Eine Träne kullert von meinem linken Auge über meine Wange und tropft auf mein weißes T-Shirt, als wir am Brunnen, aus dem wir vor einer Woche zum allerletzten Mal Wasser holten, nach links abbiegen und die Kinder aus unserem Blickfeld verschwinden. Wir rauschen vorbei, vielleicht 20 km/h maximal auf dem Tacho, und dennoch viel zu schnell, um diesem Dorf, unserer Heimat des letzten halben Jahres, angemessen Aurevoir zu sagen.. Der Augenblick, als sich zunächst das Schulgebäude und dann der Fußballplatz endgültig aus unserem Blickfeld schieben, ist traurig und schön, kurz und lang zur selben Zeit. Einige Momente später fliegen wir schon unaufhaltsam gen Süden und sehen zum letzten Mal für lange Zeit dieses Dorf, diesen Straßenabschnitt, diese Bar, dieses Feld. Und noch immer hören die Tränen nicht auf, leise aus den Augen zu kullern. In diesem Augenblick frage ich mich: Was ist denn, so schlimm empfinde ich das doch alles gar nicht, weshalb übermannen mich meine Gefühle so? Ich finde die Hand meiner Beifahrerin, die schon seit Anfang an im Auto saß – eine etwa 55-jährige Frau, wohl auf dem Weg nach Lomé – auf meinem linken Bein und erinnere mich an die ersten hundert, zweihundert Meter nach Verschwinden des Dorfs aus unseres Augen, als sie mir ihre Hand aufs Bein legte und fragte: „Mke leo?“ – Was hast du? Lächelnd brachte ich hervor: „Mi dcho“ – ich fahre, ich verlasse Djékotoé. Da lachten die Frau und der Fahrer herzlich und die Frau tätschelte mir den Oberschenkel. „Vous allez revenir“ sprach mir der Fahrer gut zu. So richtig konnte ich dies aber nicht verwerten, ich wusste ja selbst nicht einmal, warum der Abschied mir so zusetzte.

Unser Abschied aus Djékotoé war trotz aller, wie ich finde verständlichen Tristesse nicht anders, als man ihn sich hätte wünschen können. In den Tagen zuvor haben wir die Zeit genutzt, um mit allen wichtigen Leuten noch einmal Zeit zu verbringen und ihnen so gut wie möglich zu zeigen, wie dankbar wir ihnen dafür sind, wie selbstverständlich sie uns vor mehr als sechs Monaten aufgenommen haben und wie gastfreundlich sie sich den gesamten Aufenthalt gegenüber verhalten haben. Am letzten Tag haben wir mit allen zusammen großartig gegessen und auch mit dem Chef konnten wir viel sprechen. Diese Herzlichkeit, diese Ehrlichkeit, mit denen einem die Menschen hier meistens entgegentreten, ist berührend. All ihre Wünsche, seien sie auf Ewe, Französisch oder nur durch Handzeichen übermittelt, zeugen in ihrer Art von Echtheit und tiefer Ernsthaftigkeit. Wie auch das Leben nur einen Moment lang dauert, so war dieser Teilmoment am Ende auf einmal zu schnell vorbei, um etwas von ihm festzuhalten, außer unserer Erinnerung, unseren Gefühlen und den Gaben der Dorfbewohner, materiell und individuell.

Die Reise war dann als unsere letzte auf diesen Wegen auch die angenehmste, wenn ich mich richtig erinnere. Wir waren bald nur noch vier Passgiere im Wagen und so konnten wir mit langsam trocknenden Augen all diese Landschaftsmarken und markanten Punkte mehr oder weniger aufmerksam, in jedem Fall aber achtsam an uns vorbeiziehen und unsere Gedanken dorthin treiben lassen, wohin sie mitgenommen wurden. Lange sagten wir nichts, und das war gut so. Sacken lassen. Sich offensiv mit dem Fakt konfrontieren, dass es für uns jetzt erst einmal vorbei ist mit Djékotoé, Alodisodeh, Macho und Foto und all den anderen. Mit Fußballtennis auf afrikanisch und schwächelnd dahin schleichendem Deutschunterricht. Mit Freudemachenden Arbeit und Spiel und anstrengendem Gekreische der Kinder, die wir am Ende dann doch alle irgendwie liebhatten. Wie oft waren wir aus dem Dorf hinaus nach Klologo und anschließend auf die große Straße gefahren, bis nach Aneho getuckert und dann nach Lomé gedüst, und immer hatten die Leute, denen wir winkten gedacht, es sei unser endgültiger Abschied. Doch immer kamen wir wieder. Es hat einig wenig von einem Jungen, der  beim Baden im Baggersee dreimal aus Spaß um Hilfe ruft und der dann beim vierten, einzig ernsten Mal, nicht mehr beachtet wird: Die auf den Wegen, dem Fußballplatz und den Feldern Leute machten auf uns heute den Anschein, als würden sie fest davon ausgehen, dass wir in ein paar Tagen wieder zurück sind.

Auch heute sahen wir wieder die Fischer auf dem Lac Togo an uns vorbeiziehen und erinnerten uns mit einem Lächeln im Gesicht an unsere schöne Zeit in Djékotoé. An all die freundlichen Gesichter, die immer noch herzlicher blicken konnten, sobald sie uns in ihrer Nähe wahrnahmen. An kleine Ungereimtheiten, die nun kaum noch der Rede wert waren. Und an den letzten Tag, die ausgetauschten Freundlichkeiten und das Setzen eines Steins. Des ersten Steins der neuen Bibliothek, des neuen „Centre d’Eveil“ in Djékotoé, deren Ahnherren wir wurden, indem wir die ersten waren, die an diesem Ort in diesem Projekt arbeiteten. Und so schauten wir nach vorne, wo sich uns viel Rosiges bietet neben der vorbeiziehenden Trauer des Abschieds: Loméaufenthalt, Ghanareise, letztendlich die Heimkehr, sicherlich nicht durchweg Anlass zur Fröhlichkeit, aber das Ziel unserer, meiner realisierbaren Träume, das Wiedersehen mit Freunden und Familie, mit meiner Heimat in jeglicher Hinsicht.

Denn wo ein Ende ist, ist immer auch ein Anfang. In diesem Sinne wünsche ich den drei Freiwilligen des Sfd Kassel, Yana, Julika und Mona, schon jetzt alles Gute sowie viel Erfolg und Freude in Djékotoé in Projekt und Freizeit. Euch erwartet ein starkes Ensemble.

Ich finde mich wieder in meinem Zimmer in Lomé, bei Edih. Es ist 16.10 Uhr nach unserer afrikanischen Zeit und ich mampfe einen in Salzwasser gekochten Maiskolben, den mir Edihs Mutter gerade gegeben hat. Merle sagte heute, schon in Lomé aber noch im Auto, wahre Worte: „Aber ich finde auch schön, wieder in Lomé zu sein. Das ist, wie nach Hause zu kommen. Dabei hatten wir zwei zu Hause – egal, wo wir ankamen, wurden wir immer herzlich begrüßt.“ Und so ist es. Wenngleich es das echte Zu Hause natürlich nicht ersetzen kann.